6879566-1979_05_01.jpg
Digital In Arbeit

Das Antlitz der Erde erneuern

Werbung
Werbung
Werbung

„Hoffentlich redet Johannes Paul auch von Gerechtigkeit und nicht nur von Liebe“, hatte ein österreichischer Priester vor der Papstreise gemeint. Der Pontifex hat auch von Gerechtigkeit gesprochen, also von Systemänderung, und nicht nur von Gebet, Zuspruch und Almosen. Freilich hat er eindeutig den politisierenden Priestern (nicht nur Lateinamerikas) eine Absage erteilt: Sie sind für Glaubensverkündigung und Sakra-mentenspendung da, nicht für Soziologie, Politik und „Aktionen.“

Um so mehr sind die christlichen Laien allerorten zur Durchsetzung christlicher Grundsätze in den Bereichen der „Welt“ zuständig. Was das alles praktisch für Lateinamerika heißt, läßt sich noch keineswegs voraussagen. Man wird die Papstreden noch genau studieren müssen. Ein Aufeinanderprallen verschiedener Diskussionsströmungen auf der Bischofskonferenz von Puebla ist sehr wahrscheinlich.

Aber eines ist klar - der Papst hat nicht gesagt: Laßt die Dinge weitertreiben! Oder: Die soziale Gerechtigkeit wird von selber kommen! Sie muß von Christen zusammen mit gutwilligen Reformern anderer Richtungen herbeigeführt werden. Denn die Alternative lautet nicht, wie ein „Zukunft“-Autor im Februarheft dieses SPÖ-Diskussionsorgans allgemein meint, „Weltflucht oder Sozialismus.“ Weltweit heißt sie nur noch: „Reform oder Revolution.“

Und da taucht natürlich wieder die alte Frage auf: Ist die Menschheit überhaupt besserungsfähig? Geht nicht mit immer mehr wissenschaftlichem und technischem Fortschritt ein immer größerer sittlicher Verfall einher?

Solchem Kulturpessimismus ist zu widersprechen. Wir wissen heute, daß menschenähnliche Wesen seit mindestens acht Millionen Jahren die Erde bevölkern. Erst seit einigen tausend Jahren ist der Mensch voll kommunikationsfähig. Von vielen -zigtausend Generationen können auch in unseren Breiten erst fünf oder sechs allgemein lesen und schreiben.

„Schon 2000 Jahre Christentum und noch immer Kriege“ ist ein läppischer Einwand, wenn man in Dimensionen der Evolution denkt. 2000 Jahre sind eine Sekunde der Weltgeschichte. In ihr wurde immerhin erreicht, daß der Krieg heute nicht mehr, wie noch vor 100 Jahren, als zwar bedauerliches, aber quasi unvermeidbares Naturereignis betrachtet wird.

Die Gehirnmoleküle des Menschen sind noch nicht zu Ende entwickelt -zum Unterschied von denen derTiere, für die der Grundsatz der Unverän-derlichkeit der Gattung gilt. Bienen bauen seit 100.000 Jahren ihre Staaten gleich. Menschen bauen heute andere Staaten als vor 1000 oder selbst vor 100 Jahren!

Nichts spricht unwiderlegbar dagegen, nicht nur vom Einzelmenschen, sondern auch von der Menscheit eine sittliche Aufwärtsentwicklung zu erwarten, wie sie in der Enzyklika „Populorum progres-sio“ des vielgelästerten Paulus-Papstes so großartig anklingt.

Der wasser- und feuerspeienden Erde ein menschliches Antlitz zu verleihen, wie es Rudolf Hausner in einem Bild seiner Adam-Serie visionär getan hat, ist der Schöpferauftrag an die Menschheit. Uber die richtigen Methoden können und sollen auch Christen streiten. Nur eines können sie nicht: stehenbleiben, einigeln und zuschauen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung