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Das Ende des Wolfes

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Das schwedische Naturschutzamt teilte in einer kurzen Notiz mit, daß im Vorjahr in Schweden 43.000 Elche erlegt worden seien, so gut wie alle innerhalb weniger Wochen im Herbst.

Durch Erfahrungen gewarnt, gibt der Berichterstatter diese Zahl mit dem unguten Gefühl weiter, daß sie auf verschiedenen Seiten wütende Proteste auslösen wird. Die Protestierer können in zwei Gruppen eingeteilt werden, teils in jene, die nun Schwedens Regierung den Vorwurf machen werden, nichts zu tun, um die völlige Vernichtung des Elchstammes zu verhindern, und weiters in jene Gruppe von „Jagdsachverständigen“, die ganz genau weiß, daß es in ganz Schweden keine 43.000 Elche mehr gegeben hat, denn trotz wochenlanger Durchforschung der schwedischen Wälder ist ihnen — so sagen sie — niemals ein Elch vor die immer schußbereite Kamera gekommen.

Natürlich haben beide Gruppen unrecht. Als vor zehn Jahren in einem einzigen Herbst 33.000 Elche erlegt wurden, wurde das von selten dieser Kritiker als der Todesstoß für den Elchstamm in Schweden bezeichnet, doch im Vorjahr erlegte man noch 10.000 Exemplare mehr, jene vielen Tiere nicht mitgerechnet, die dem immer mehr anwachsenden Verkehr zum Opfer fallen oder bei Nacht und Nebel erlegt werden.

Der Elchstamm scheint tatsächlichm kräftiger zu sein als noch vor Jahren. Ganz im Ernst hat man deshalb vorgeschlagen, in den elchreichsten Gebieten Mittelschwedens und des südlichen Nordlands einige Wolfsfamilien auszusetzen, die hier eine jagdbare Beute finden würden. Im Norden des Landes ist der Wolf so gut wie ausgerottet. Wohl trifft man noch hie und da auf eine vereinzelte Wolfsspur, doch zu einer Rudelbildung kommt es nicht mehr. Das ist außerordentlich bedauerlich, denn der Wolf gehört zur Fauna der menschenleeren Tundren des Nordens, und außerdem hat der Wolf in den letzten Jahren auf Grund seiner Klugheit und seiner Lebensart bei vielen Naturliebhabern an Achtung gewonnen.

Doch der Wolf hat zwei unerbittliche Feinde: den rentierzüchtenden Lappen, der ihn mit unversöhnlichem Haß verfolgt, und den Schneeskooter, der es gedankenlosen Besuchern der Fjälls und Wilddieben erlaubt, jedes Tier zu Tode zu hetzen, ohne sich selbst dabei viel anzustrengen.

Die Jagd vom Hubschrauber aus, seit mehr als zehn Jahren verboten, dürfte jetzt im nördlichen Schweden kaum mehr vorkommen, doch die Jagd mit Hilfe des Motorschlittens ist ebenso grausam und unerbittlich und es ist nur eine Frage weniger Jahre, bis auch die letzte vereinzelte Wolfsspur in den Schneeländern Lapplands vom Winde verweht sein wird. Und die Fauna des Nordens wird dann um eines der großen Raubtiere ärmer geworden sein.

Auf der Liste der aussterbenden Tiere steht auch der Vielfraß, der ebenfalls ein Fleischfresser ist, doch auch mit Beeren und Insekten vorlieb nehmen kann. Auch der Vielfraß hat in den Rentierzüchtern seine unversöhnlichsten Feinde. Ein Lappe — oder Same, wie er sich eigentlich selbst nennt — kann einen Vielfraß, der ein Rentier geschlagen hat, tagelang und hunderte Kilometer weit verfolgen, bis das gehetzte Tier zusammenbricht. Die Bewahrung des Stammes der Vielfraße — die vor nur 15 Jahren npch sehr häufig waren — ist zur Zeit die große Sorge des Naturschutzamtes. Es läßt sich schwer voraussagen, ab es dabei eine glücklichere Hand haben wird als bei den Rettungsversuchen für den Wolf, denn auch der Vielfraß ist nur noch in vereinzelten Exemplaren zu finden.

Verhältnismäßig zahlreich kommt dagegen immer noch der Bär vor, und das wohl deswegen, weil er seit jeher auch in jenen schwedischen Waldgegenden lebt, die nicht als „Lappenland“ angesehen werden können. Die Provinzen Jämtland und Norrbotten sind heute die letzten Zufluchtsstellen dieses großen Raubtieres, das in Schweden bis zu 300 Kilogramm schwer werden kann. Man rechnet damit, daß in diesen Provinzen noch zwischen 200 und 300 Bären leben.

Ein Raubtier im Vormarsch ist dagegen der Luchs, der heute mitunter sogar schon in Wäldern südlich von Stockholm, ja bis nach Südschweden hin angetroffen werden kann. Der Luchs ist ausschließlich Fleischfresser und kann dem Rentierbestand, vor allem aber dem Rehbestand, schweren Schaden zufügen.

Alles in allem bildet eine Übersicht über den Raubtierbestand im Norden ein düsteres Bild. Unmittelbar vor der Ausrottung steht der Königsadler, dessen Brut durch Pflanzengifte vernichtet wird. Nicht besser sieht es mit den großen Falkenarten aus. Um darüber ein klares Bild zu bekommen, hat nun das Naturschutzamt fünf Untersuchungsgruppen gebildet, die das ganze nördliche Schweden auf seinen Raubtierbestand hin untersuchen sollen. Das ganze Gebiet ist in Planquadraten von je 5 Kilometer Seitenlange eingeteilt worden, die nacheinander genau durchsucht werden. Und in fünf Nationalparks wird nun die Wirkung des Schneeskooters auf das Tierleben untersucht. Spät, aber doch? Für den Wolf und den Vielfraß dürfte es schon zu spät sein. Unwiderruflich.

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