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Der „Fall Jugoslawien"

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Konfliktvorbeugung und -mana-gement erfordern breitangelegte Bemühungen: Eine Zwangsbefriedung zeitigt nur kurzfristige Ergebnisse. Im „Fall Jugoslawien" treffen sich Sicherheitspolitiker und Friedensforscher.

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Konfliktvorbeugung und -mana-gement erfordern breitangelegte Bemühungen: Eine Zwangsbefriedung zeitigt nur kurzfristige Ergebnisse. Im „Fall Jugoslawien" treffen sich Sicherheitspolitiker und Friedensforscher.

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Man schafft es kaum, so etwas zu formulieren und in die „Maschine" zu tippen: Die entsetzlichen Ereignisse in unserer südöstlichen Nachbarschaft werden einmal auch als Fallstudie zu dienen haben. Es wird zu einer solchen Fallstudie über das, was da vor sich geht, was in einer Katastrophalspirale von Aktion - Reaktion - Eskalation sich immer schneller zu drehen begonnen hatte, kommen; kommen müssen. Denn es droht eine „Kette", wie sie etwa der Jugoslawien-Insider Anton Bebler vor kurzem bei der diesjährigen SAMS-Herbsttagung (Schweizer Arbeitskreis für Militär und Sozialwissenschaften) in Sigris-wil skizzierte: Nach den Serben in der bislang kroatischen Krajina deren ebenfalls serbische Nachbarn in Bosnien; wenn diese, dann die Moslems in Bosnien; wenn die bosnischen Moslems, dann jene im Sandschak, also auf serbischem Gebiet; wenn die Moslems auf serbischem Gebiet, dann auch die Kosovo-Albaner; wenn diese, dann Albanien selbst auch - damit wird ein Bürgerkrieg zum zwischenstaatlichen; und Bebler erinnerte an dieser Stelle der „Kette" sogar auch noch an alte Beziehungen Albaniens über die Adria hinweg - zu Italien.

Die heikelste Frage wird nicht sein, wie Serbien und Kroatien, verkörpert in deren Präsidenten Milosevic und Tudjman, zu einem „Stillstand der Waffen" gebracht werden können; ja nicht einmal, wie „die" Armee an einer tatsächlichen Einstellung der Kampfhandlungen - und damit möglicherweise auch schon ihrer eigenen Funktion, wie das die Armee-Führung anscheinend befürchtet - „Geschmack" finden könnte. Die heikelste Frage in dieser Hinsicht wird sein: Wer stoppt die Tschetniks und deren kroatische HOS-Pendants?

Es wäre fatal, dabei auf die nun schon von den unterschiedlichsten Positionen aus geforderten „Blauhelme" zu setzen und diese dabei klar zu überfordern. Diese „Blauhelme" sind mit einem Male everybody's darling, so scheint es. Es ist offenbar weitgehend unbemerkt geblieben, daß etwa der geistige „Übervater" einer Generation von Friedensforschern, Johan Galtung, schon seit Jahren in einschlägigen Zirkeln konsequent dafür wirbt.

Eine Woche nach der schon erwähnten SAMS-Tagung etwa war bei der diesjährigen „State of Peace"-Konferenz vor allem der deutschsprachigen Friedensforscher, diesmal ebenfalls in der Schweiz (Lenzburg) abgehalten, nicht bloß Galtung. mit Vehemenz für peacekeeping durch „Blauhelme" zwischen den kämpfenden Parteien im auseinanderdriftenden Jugoslawien eingetreten. Und schon am Wochenende davor war zum Beispiel die gleiche Auffassung, weitgehend unwidersprochen, auch im Zuge einer mehrtägigen internationalen Konferenz von Friedensforschern und Politikern aus Österreich und (dem bisherigen) Jugoslawien im österreichischen Stadtschlaining vertreten worden. Vermutlich nur der Anwesenheit von Stipe Mesic war es zuzuschreiben, daß von diesem Versuch aus der „Friedensecke" heraus überhaupt Kenntnis genommen wurde.

Peacekeeping liegt offensichtlich im Schnittpunkt der verschiedenen Vorschläge von den unterschiedlichsten Positionen aus, insbesondere in einer solchen Situation. Auf der einen Seite reicht die Palette eigentlich nicht sehr weit: Allenfalls sogar peaceenforce-ment sowie Embargo. Es darf hier daran erinnert werden, daß inderUNO-Dik-tion, herausgebildet in jahrelanger Erfahrung, zwischen peacekeeping und pea-ceenforcement sehr deutlich unterschieden werden muß: In der Charta der Vereinten Nationen an sich vorgesehen wären militärische Sanktionen im Namen beziehungsweise Auftrag der Völkergemeinschaft -peaceenforcement gemäß Kapitel VII. Nicht darin vorgesehen hingegen sind an sich jene peacekeeping Operations, die sich, angesichts des (bisherigen) Scheiterns des mit der Gründung der UNO seinerzeit angestrebten weltweiten Systems kollektiver Sicherheit, in der Praxis herausgebildet haben.

Peacekeeping hätte allerdings mit peacemaking und peacebuilding einherzugehen - auch das ist UN-Diktion. Damit aber ist auch schon jene andere Seite angesprochen, von der aus die Vorschläge ebenfalls bis hin zu peacekeeping reichen, wie bereits erwähnt wurde. Denn im Gegensatz zu der als „Zwangsbefriedung" anzusehenden militärischen Aktion in Form von peaceenforcement zielen peacemaking und peacebuilding auf nicht-militärische Lösungen für einen Konflikt ab. Peacemaking umschreibt Bemühungen, Lö-

sungen zu finden, die für beide (beziehungsweise alle) Konfliktparteien akzeptabel sind; dies im Wege von Vermittlung, dem Angebot und Leisten der sogenannten „guten Dienste", Verhandlungen und anderen Formen friedlicher Beilegung. Peacebuilding wiederum meint Bemühungen um sozio-ökonomische Veränderungen, die geeignet erscheinen, die Wahrscheinlichkeit der Anwendung von Gewalt in den betreffenden Gebieten zu verringern und möglichst zu eliminieren.

Der Kreis schließt sich somit: Eine Fallstudie zu den Vorgängen in unserer südöstlichen Nachbarschaft wird

- ohnedies eine Selbstverständlichkeit - zeigen, wie sehres nicht „bloß" um das Erreichen eines (einigermaßen) haltbaren Waffenstillstandes gehen kann, wenn dies auch die vordringlichste Aufgabe sein muß. Sie wird vermutlich sogar zeigen, daß dieses vordringlichste Ziel des „Schweigens der Waffen" ohne gebührende Bedachtnahme auf zumindest einige Elemente dessen, was hier unter peacemaking und auch peacebuilding angesprochen wurde, nur schwer, vielleicht auch gar nicht, jedenfalls aber kaum haltbar erreicht werden kann.

Auf der anderen Seite wird eine solche Fallstudie belegen, daß es schon in diesem Fall nicht bloß Vorschläge und Bemühungen in bezug auf peacekeeping und („notfalls") auch peaceenforcement, sondern auch im Sinne von peacemaking und peacebuilding sehr wohl gegeben hat. Diese ganze Breite entspricht den Erfordernissen jeglichen Konfliktmanagements, umso mehr jenen einer einigermaßen erfolgversprechenden Konfliktvorbeugung.

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