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Der totale Zusammenbruch

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Imperien beginnen von den Rändern her zu bröckeln, aber sie brechen erst zusammen, wenn das Zentrum nicht mehr funktioniert. Das Zentrum der Sowjetunion war die kommunistische Partei. Und diese Partei ist am Ende.

Damit ist auch in der Sowjetunion das Ende eines Systems gekommen, das auf der Alleinherrschaft einer unfehlbaren Partei aufgebaut war. Die Partei hatte immer recht. Die Partei machte keine Fehler, die Partei konnte daher auch nicht aus Fehlem lernen.

Als am Montag der Oberste Sowjet in Moskau zu einer Sitzung über die Zukunft des Sowjetstaates zusammentrat, sagte der Vorsitzende in seinen einleitenden Worten, es gehe darum, nicht zu lügen bei der Erforschung der Fehler und Versäumnisse, deren sich auch die Volksvertretung schuldig gemacht hatte.

Die Lüge aber gehörte zum Wesen der Ordnung des alten Systems. Wer gegen die Lüge auftrat, der wurde verfemt und landete im Gulag. Zur Lüge gesellte sich die Angst. Die Angst als bewußt eingesetztes Mittel zur Erhaltung und Festigung der Macht. Als am vergangenen Donnerstag das Denkmal des Gründers der Tscheka, Feliks Edmundowitsch Dzerzinskij, gestürzt wurde, war das auch ein symbolischer Akt der Befreiung von der Angst.

Der Gründer des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes war als geborener Pole zudem ein besonders fanatischer Verfechter des Einheitsimperiums. Das scheint nur auf den ersten Blick merkwürdig zu sein, aber wir in Österreich können ja auch mit verbissenen Verfechtern des Großdeutschtums aufwarten, deren Namen Buchstabierungs-schwierigkeiten bereiten.

Mit dem Schwinden der Angst wachsen das Selbstbewußtsein und die Würde.

Michail Gorbatschow wollte eine Evolution und wurde zum Opfer seiner eigenen Kompromißbereitschaft. Er wollte die Partei reformieren, an deren Spitze er stand, aber vergaß, daß seine Feinde, die er um sich geschart hatte, parteitreuer waren als er - das heißt konsequenter auf ihre Weise. Der Plan zum Sturz Gorbatschows lag in der Logik des Systems, das Offenheit bekämpfen muß, weil diese sein Wesen gefährdet. In der Gesetzmäßigkeit der Offenheit wiederum liegt es, daß es „ein bisserl Demokratie" nicht gibt.

Die Revolution in der Sowjetunion, die derzeit stattfindet, wird lange dauern. Es mag auch Restaurationsversuche geben, aber der Kommunismus sowjetischen Musters, der seine prägende ideologische Kraft schon längst verloren hatte, ist nun wahrhaftig tot. Was kommt ist noch unklar. Sicher ist nur eines: Ein totalitäres System kann nur total zusammenbrechen.

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