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Die Alpen entrümpeln!

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Am Ende des Sommers werden die Berge entrümpelt. Besonders die Umgebung von Schutzhütten ist von Unrat übersät. Mit wachsendem Massentourismus wird das Problem zunehmend akut.

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Am Ende des Sommers werden die Berge entrümpelt. Besonders die Umgebung von Schutzhütten ist von Unrat übersät. Mit wachsendem Massentourismus wird das Problem zunehmend akut.

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Gerade den deutschsprachigen Mitteleuropäern wird nachgesagt, daß sie ein enges Verhältnis zur Natur hätten. Daran ist zu zweifeln, wenn man sieht, wie ein erschreckend großer Prozentsatz nicht nur der Halbschuhtouristen jene Umweltsünden bedenkenlos praktiziert, die sich daheim im eigenen Garten keiner erlauben würde: Rastplätze und Hüttenpfade sind garniert mit Zigarettenresten, Papiertaschentüchern,

Kaugummiverpackungen, Dosenverschlüssen und sonstigem Zivilisationsmüll.

Und auf den Hütten gibt es immer wieder Streit, wenn das Personal darauf besteht, daß die Gäste ihre leeren Bierflaschen nicht hinter dem nächsten Felsbrocken deponieren, sondern mit ihren Rucksäcken auch wieder ins Tal bringen.

Selbst bis in Höhenregionen, wo man eigentlich nur noch Idealisten anzutreffen meint, schwappt die Wegwerfwelle; auf so manchem Dreitausender rosten neben dem Gipfelkreuz Sardinenbüchsen und Coladosen vor sich hin.

Das Ansinnen, daß Alpinisten und Touristen die von ihnen geleerten und folglich leichteren Dosen und Verpackungen auch wieder vom Berg tragen sollten, berührt jedoch nur einen Teil des Problems. Schwieriger ist die Frage, was mit den eigenverursachten Müllbergen geschehen soll, die neben den Hütten immer stärker anwachsen.

Der österreichische Alpenverein (ÖAV) betreibt zum Beispiel 280 Schutzhütten mit 14.000 Schlafplätzen und zählt jährlich weit über eine Million Besucher, darunter rund 400.000 Nächtigende. Diese Heerschar will,verköstigt sein, und was als Folge davon als Müll anfällt, kann man sich leicht ausmalen.

Als Basisvolumen je Hütte und Jahr schätzen Fachleute zwei Kubikmeter Abfall, was allein für die Häuser des ÖAV einen jährlichen Müllberg von 560 Kubikmeter ausmacht. Noch vor wenigen Jahren kippte so mancher Wirt, wenn seine Hütte „günstig“ lag, den Abfall einfach aus dem Küchenfenster in den Abgrund; oder er versenkte ihn in einer nahen Felsspalte.

Heute ist das wegen der strengen Auflagen nicht mehr möglich. Also alles zu Tal bringen, auf dem Rücken, mit der Materialseilbahn, per Hubschrauber?

Das verursacht hohe Kosten, verbraucht Energie; überdies haben die Talgemeinden genug damit zu tun, ihren eigenen Müll zu beseitigen.

Die Alpenvereine, durch die ja die umweltbelastenden Menschenmassen letztlich erst auf die Berge gelockt wurden, haben inzwischen die Gefahr erkannt. Sie engagieren Experten, die sich ihre Köpfe darüber zerbrechen sollen, wie man den Müll vor Ort, also direkt bei der Hütte, beseitigen könne. Erste Erkenntnis: Der Müll muß sortiert werden, in verbrennbaren, verrottbaren, wieder verwertbaren und in Restmüll (Schadstoffe).

In Österreich gibt es bereits auf mehreren Hütten eigens für brennbaren Müll konstruierte Öfen mit Wärmeaustauschern für die Warmwasserzubereitung. Organische Abfälle, die ein Viertel bis ein Drittel des anfallenden Mülls ausmachen, könnten kompostiert und in Humus umgewandelt werden; auch hier werden schon verschiedene Systeme (z. B. Traubentrester-Kompost-Silos, Solarkompostierung) ausprobiert.

Und um das Volumen wiederverwertbaren Materials (Metall, Karton usw.) zu verringern, wurden auf einer Reihe von Hütten bereits Müllpressen installiert.

Darüber hinaus denkt man bei den Alpenvereinen auch nach, wie man Abfall vermindern oder gar vermeiden könne. So wurde vor kurzem in den Mitteilungen des ÖAV mit Recht angekreidet, daß es nicht einzusehen sei, weshalb auf Hütten Mini-Portionspak-kungen für Kondensmilch, Marmelade, Butter etc. aus Alu-Kunststoffgemisch verwendet werden, die nicht nur teuer sind, sondern auch viel Müll erzeugen.

Auch die Speisenkarten, die häufig schon eine Auswahl wie in Talrestaurants böten, sollten wieder bescheidener werden und dadurch das Abfallproblem verringern.

So dürfte ein umweltfreundlich, nämlich in der Pfanne hergestellter Kaiserschmarrn selbst dem Halbschuhtouristen immer noch besser schmecken als ein tiefgekühltes, wenn auch mehrgängiges Retortenmenü aus der Alufolie.

Müllbeseitigung und -Verringerung im hochalpinen Bereich - eine Notwendigkeit, deren sich die direkten „Verursacher“ auf den Schutzhütten und die Verantwortlichen der nationalen Alpenvereine allmählich bewußt werden. Aber von den Bergsteigern und Touristen, die zum nicht unerheblichen Teil Städter sind, wird Abfall häufig als nebensächlich angesehen.

Daheim fährt ja der Müllwagen allwöchentlich bis vor die Haustür, und für die weggeworfenen Zigarettenstummel und Bonbonpapiere ist der Straßenkehrer da. Es bedarf hier noch langandauernder, einfallsreicher Aufklärungsarbeit, bis ein Umdenken auf breiter Basis einsetzen wird; Bekanntlich verlieren unsere Berge im Verlauf von Jahrtausenden durch Erosion und Verwitterung an Höhenmetern.

Man sollte es als Horrorvision hinstellen, daß dieser Verlust in einer viel kürzeren Zeitspanne durch das stete Anhäufen von Müllschichten wettgemacht werden könnte.

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