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Die Brunnenvergiftung

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Das Flugblatt aus Israel, das verschiedenen österreichischen Zeitungsredaktionen mit dem Posteingang ins Haus flatterte, war äußerlich genau so aufgemacht wie so manche andere Drucksache aus Israel. Auf dem Titelblatt ein blauer Davidstern mit dem historischen Datum des Junikrieges, darüber und darunter das Wort Israel, einmal in lateinischen, einmal in hebräischen Lettern.

Auf Seite 2 eine Kartenskizze Israels inklusive der besetzten arabischen Gebiete, der Satz „Israel wird das Licht der Welt werden“ und ein undatiertes Zitat von David Ben Gurion, der heutige Staat Israel habe erst begonnen, die Gebiete, auf die er Anrecht habe, zurückzu- erobem.

Das Flugblatt ist an die Juden in aller Welt gerichtet. Der eigentliche Text, der auf Seite 3 beginnt, hebt mit der Feststellung an, „der vierte Jahrestag unseres siegreichen Sechstagekrieges“ entfalle „auf eine Zeitspanne, in der die Feinde Israels aufs neue versuchen, uns das zurückgewonnene Land unserer Väter heimtückisch wegzunehmen“, Antisemiten und Araber würden ihre Kräfte vereinen und mit Unterstützung des kommunistischen Blok- kes die öffentliche Meinung der ganzen Welt gegen die Juden aufhetzen, weshalb als Gegenleistung für Erdölkonzessionen manche Länder schon jetzt „aggressive Pläne zur Zerstückelung Israels“ unterstützen.

Wer die Ansichten der diversen äußersten rechten Flügelmänner in Israel kennt, schluckt, nicht als offizielle Lesart, aber als Ansicht verschiedener Außenseiter, allenfalls auch noch die Feststellung, jeder Jude in der Diaspora müsse den Mut besitzen, offen festzustellen, daß er sich zur doppelten Loyalität bekenne, seine Heimat aber nur Israel sein könne, und es sei „somit die Pflicht eines jeden Juden, mit allen Mitteln Israel zu verteidigen und. zu stärken, ungeachtet der Interessen jenes Staates und" jener Gesellschaft, in der er lebt“.rhu* Jan

Der unbekannte Fälscher ging jedoch um jenen letzten, verräterischen Schritt zu weit, der schließlich auch den Verfasser eines als „Protokolle der Weisen von Zion“ in die Geschichte eingegangenen Machwerkes entlarvte. Er schrieb:

„Der Sechstagekrieg hat der Welt nochmals bewiesen, daß die vereinte Judenschaft bereit ist, alles aufzu- opfem, einschließlich der atomaren Vernichtung der Welt, um Israel in seinen historischen Grenzen zu verteidigen.“

Einschließlich der atomaren Ver nichtung der Welt. Man kann nur froh darüber sein, daß diese letzte Uberteibung das Ganze ad absurdum führt.

Sonst hätten die übrigen brunnen- vergiftenden Sätze dieses Pamphlets nur zu leicht ihre gefährliche Wirkung tun können. Etwa Sätze wie dieser: „Das Bestehen des Staates Israel in den heutigen, leicht zu verteidigenden Grenzen allein kann uns nicht befriedigen! Er muß ständig seine Grenzen ausweiten und festigen, bis wir alle Gebiete unserer Väter zurückgewonnen haben!“

Noch vor wenigen Jahren wären auf solche Sätze nur die traditionell antisemitisch eingestellten Schichten hereingefallen. Heute ist solches durchaus auch jenen zuzutrauen, die vorgeben, nicht antisemitisch, sondern nur „antizionistisch“ eingestellt zu sein.

Dementsprechend größer ist heute auch der Kreis der Interessierten, denen die Herstellung einer solchen Fälschung zuzutrauen wäre. Die Spur kann nach rechts oder nach links führen — diese Unklarheit der Richtung ist vielleicht das Traurigste an der Sache.

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