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Die Chancen des Atom%eitalters
Heute spricht man - betroffener als je zuvor - vom „Wahnsinn des Atomzeitalters”. Rund um uns stehen Raketen errichtet, die auf unser aller Leben zielen und es auslöschen könnten. Wir erschauern därob und versuchen uns dagegen zu wehren.
Das ist verständlich und gut so. Abgesehen von dieser konkreten Situation, an der das grauenhaft Rationale schon ebenso unüberbietbar erscheint wie das grauenhaft Irrationale, schlummert in dem gegenwärtigen Zustand eine, vielleicht unterschätzte Möglichkeit, unser soziales Bewußtsein radikal zu wandeln. Angesichts dieses steten atomaren Terrors mußten wir erkennen, daß uns, mit dem Tod eines Gegners, unser eigener gleich mitgarantiert würde.
Daß wir also gemeinsam im selben Boot sitzen: Töten wir den bösen Feind, sind wir gezwungen einzusehen, daß wir bestimmt auch selbst getötet werden.
Mit dieser Einsicht wird uns eine oft praktizierte Methode der Konfliktlösung geraubt. Der Mechanismus, das eigene Übel dem anderen zuzuschieben, um sich selbst reinzuwaschen, versagt plötzlich seinen oft bewährten Dienst.
Die Realität des gemeinsamen Bootes haben unsere Hirne schon ein wenig akzeptiert. Siehe: Aufkeimender Widerstand gegen Rü-stungslobbies in West — und auch schon Ost.
Was in der äußeren Welt nicht mehr Utopie ist, diese Solidaritäts-Idee, hat in der kleinen Welt, in unserer Psyche, noch nicht Fuß gefaßt. Der Pazifismus hat den großen Sprung in unsere Ganglien und Herzen noch nicht geschafft.
Die ach so gegensätzlichen Seelen in einer Brust rauben uns den inneren Frieden, für dessen politisches Pendant wir kämpfen.
Die Paarung eines Dr. Jeckyll und Mister Hyde, der dauernde Wechsel von Gut und Böse in uns ist längst nicht überwunden, Im Gegenteil. Scheint es, daß in denkbarer Zukunft die Spirale der politischen Schizophrenie von Aufrüstung und Friede auslaufen könnte, so glaubt niemand, daß sich die Spirale der sozialen Schizophrenie von egoistischem und altruistischem Handeln jemals auflösen kann.
Die Projektion der Atom-Problematik auf unsere zerrissene Psyche scheint phantastisch. Aber der nötige Mut zur Verstiegenheit läßt ihr etwas Einleuchtendes abgewinnen.
Die große Furcht, gegen die wir Hüfe von den Göttern, von der Geschichte und von Ideologien fordern, hat nämlich ihre Gründe in beiden - in den Raketen und in uns. Was in der atomaren Frage nie passieren darf - das Akzeptieren einer Realität und die Anerkennung unserer Depression — in uns müssen wir dahin kommen, um sie gereift verlassen zu können.
So gesehen müssen die vermuteten „Chancen des Atomzeitalters” nicht nur blanker Zynismus sein.
Der Autor ist Student der Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Wien.
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