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Die NATO-Partisanen

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Noch traut man seinen Augen nicht, noch wagt man nicht zu hoffen! Aber es hat zumindest den Anschein, als ob auch Kommunisten schlechte Taktiker sein und ein Inr strument überdrehen könnten. Überdreht haben sie den revolutionären Prozeß in Portugal. Die Automatik scheint nicht mehr zu ihren Gunsten zu laufen, sondern weg von ihnen. Den Kommunisten in Portugal droht eine revolutionäre Welle — aber eine Welle von stärkstem Druck, die sie hinweg zu schwemmen droht. Denn die große Masse der nicht Entschlossenen, der politisch Ungebundenen, sieht die Opportunität nicht mehr links, sondern in der Mitte oder vielleicht sogar rechts von der Mitte.

Das muß man vorausschicken, um Präsident Fords und Staaatsekretär Kissingers offene Intervention in die chaotischen Zustände Portugals zu verstehen. Während sich die amerikanische Regierung bis dahin peinlich gehütet hatte, öffentliche Erklärungen über die Lage in Portugal abzugeben, stellten sich Präsident und Außenminister in öffentlichen

Reden voll hinter die „gemäßigten Kräfte, die ein demokratisches Portugal bauen wollen“. Obwohl die Regierung durch die CIA-Untersuchungen der Interventionen gegen Chiles marxistischen Präsidenten Allende eigentlich schußscheu sein sollte, erklärte Kissinger ohne Rüdesicht auf diplomatische Gepflogenheiten: „Wir sind bereit, einem demokratischen Portugal zu helfen.“ „Wir werden auch unsere Stimme gegen die Machenschaften einer Minorität erheben, die scheinbar die Revolution zu ihren Gunsten mißbraucht.“ Daß diese Worte Sauerstoff für die mutige Opposition bedeuten, kann man sich vorstellen. Denn neben den demokratischen Parteien Westeuropas hat sich nun auch die amerikanische Regierung in die Front jener Kräfte gereiht, die dem demokratischen Widerstand in Portugal moralische Hilfe leistet und die Kommunisten in die Isolation drängt.

Dabei wollte die amerikanische Außenpolitik Portugal politisch schon abschreiben. Beim letzten NATO-Treffen wollte Präsident Ford bereits einen klaren Bruch herbeiführen, da er die Anwesenheit sowjetischer Partisanen bei NATO-Gesprächen als unerträglich empfand. Sein fähiger Botschafter in Lissabon und europäische Politiker verhinderten den totalen Bruch und erfanden eine Formel, die portugiesische Vertreter von delikaten strategischen Gesprächen ausschloß, aber den Hinauswurf nicht vollzog.

Die Politik des Zuwartens hat sich als richtig erwiesen. Nicht bloß hätte das Zuwerfen der Tür die amerikanischen Basen auf den Azoren gefährdet — jetzt hat es den Anschein, als ob die Azoren einen von Lissabon unabhängigen prowestlichen Kurs einschlagen wollten —, sondern die Oppositon, die, nach objektiven Schätzungen von heute, 90 Prozent des Landes hinter sich hat, wäre vor den Kopf gestoßen und einem unverdienten Schicksal überlassen worden. Was ist in Portugal geschehen? Worin haben sich die Kommunisten und hinter ihnen die sowjetischen Geldgeber geirrt?

Zunächst einmal in der falschen Einschätzung der internationalen Lage: Nach der vietnamesischen Niederlage glaubte der internationale Kommunismus seine Zeit für gekommen und vermeinte, die Vereinigten Staaten an verschiedenen Fronten bloßstellen zu können. Das gekaperte amerikanische Frachtschiff vor der Küste Kambodschas gehört ebenso in diese außenpolitische Kategorie wie der vor einigen Monaten losgelassene Versuchsballon, den Sowjets Flottenstützpunkte in portugiesischen Atlantikhäfen einzuräumen. Beide Drohungen wurden abgewehrt, und die Zweigleisigkeit der sowjetischen Außenpolitik zum Vorteil des Westens ausgenützt. Die amerikanische Regierung führte eine offene Sprache in Moskau, als die gewandten Sowjetdiplomaten ihre Sprüche von Entspannung und Friedensmoral heruntersagten. Es war für die Sowjets, die Anreger des Sicherheitspaktes von Helsinki auch schwierig, Friedfertigkeit zu proklamieren, zugleich aber den gewaltigen unterirdischen Apparat in Portugal auf Hochtouren laufen zu lassen. Wenn man sich nämlich energisch dahinterklemmt, geben die Dokumente von Helsinki — im Westen als Kapitulationsurkunden verschrieen— genügend Grundlage für Kritik am sowjetischen System, wo immer es gehandhabt wird. Nicht, daß diese Kritik im sowjetischen Bereich auch nur die leiseste Erschütterung auslösen würde. Aber Portugal gehört geographisch sicherlich nicht zum sowjetischen Einflußkreis, und wie es sich nun herausstellt auch politisch nicht. Fords und Kissingers Erklärungen zur portugiesischen Lage bedeuten daher, daß die USA dem Abgleiten des Landes in den Kommunismus nicht tatenlos zusehen werden und stellen damit eine Deklaration an die Adresse Moskaus dar, die Entwicklung nicht zu überspannen.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich in Portugal für die Kommunisten ein Ungarn mit umgekehrtem Vorzeichen abzeichnet, wobei es nicht einmal der Intervention von Tanks und nicht portugiesischer Kräfte bedarf. Die demokratische Mehrheit im Lande ist so massiv und aufgebracht, daß sie die Armee zu sich herüber zu ziehen scheint und mit den kommunistischen Kadern allein fertig zu werden vermag.

Noch ist es jedoch nicht so weit, und wie man in Washington hört, trachtet die Regierungsgruppe in Lissabon, Zeit zu gewinnen, um der antikommunistischen Bewegung das zwingende Moment zu nehmen. Gon-galves wird wahrscheinlich von den Sowjets geopfert werden, um zumindest die Ansätze der marxistischen Revolution zu retten — auch als Armeechef.

Aber eines steht bereits heute fest: im ersten Ansturm ist die portugiesische Festung nicht zu nehmen, und zu ihren entschlossensten Verteidigern zählt heute bereits die amerikanische Außenpolitik.

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