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Die Pyramiden

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Bei der UNO überbietet man einander in Begeisterung für Gleichberechtigung ohne Unterschied der Farbe, des Glaubens, des Geschlechts. Das wird aber nicht ganz genau genommen. Eine Frau, die bei den Indianern im Zentrum Südamerikas, bei den meisten Negerstämmen Afrikas oder den Muslims Asiens, selbst Albaniens (siehe „Furche“ vom 19. September 1970) auf Gleichberechtigung bestehen würde, könnte froh sein, mit einer Tracht Prügel davonzukommen. Die arabischen Mädchen Tansa- niens dürfen auch nicht aufmucken, wenn sie von einem der herrschenden Neger entführt und zur Ehe gezwungen werden. Das ist trotz aller gęgenteiligen Bemühungen auch schon his zur UNO gedrungen, ohne daß es sie gerührt hätte.

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Bei der UNO überbietet man einander in Begeisterung für Gleichberechtigung ohne Unterschied der Farbe, des Glaubens, des Geschlechts. Das wird aber nicht ganz genau genommen. Eine Frau, die bei den Indianern im Zentrum Südamerikas, bei den meisten Negerstämmen Afrikas oder den Muslims Asiens, selbst Albaniens (siehe „Furche“ vom 19. September 1970) auf Gleichberechtigung bestehen würde, könnte froh sein, mit einer Tracht Prügel davonzukommen. Die arabischen Mädchen Tansa- niens dürfen auch nicht aufmucken, wenn sie von einem der herrschenden Neger entführt und zur Ehe gezwungen werden. Das ist trotz aller gęgenteiligen Bemühungen auch schon his zur UNO gedrungen, ohne daß es sie gerührt hätte.

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Unter den farbigen Delegierten sind nur ganz wenige Frauen zy finden. Man sieht sie wohl in den Gängen der UNO, oft in ihren Nationaltrachten als fröhliche Farbflecke in der dunklen Masse der Männer. Da setzen sie optische Wirkungen an die Seite der akustischen ihrer Gatten, mitunter nicht ohne vorteilhaften Abstand. Einige männliche Delegierte aus Afrika und Asien wollen auch ihre Gleichberechtigung mit den Frauen äußerlich bekunden; sie treten privat und beruflich in nationaler Gewandung auf, die manche physische Vorzüge erst ins rechte Licht stellt. Der Kostümball der UNO wird aber nur von farbigen

Vertretern beschickt; kein Kilt, keine Lederhose und kein Dirndlrock ist noch aufgetaucht. Die Gleichberechtigung der Hautfarbe hat sich also nicht ganz durchgesetzt.

Unter den arbeitenden Delegierten gibt es nur ganz wenige Frauen, sicherlich weniger als 10 Prozent sind in den Sitzungen zu finden. In manchen Organen, wie im Sicherheitsrat, gibt es gar keine Frauen, dort trat nur einmal Goldą Meir als Partei auf. Viele Delegierte bringen aber ihre Frauen mit, die aus praktischen Gründen als Mitglieder der Mission eingetragen werden, ohne sich für sie anders als gesellschaftlich zu betätigen. Dadurch genießen sie die Vorteile der Immunität, was nicht immer ganz harmlos ist. Es ist schon vorgekommen, daß Gattinnen exotischer Delegierter Hotelzimmer wie Zelte behandelten und das Hotel stand der diplomatischen Immunität hilflos gegenüber.

Und die Angestellten?

Wie sieht es aber im anderen Teil des UNO-Gebäudes, im Angestelltenturm, mit der Gleichstellung aus? Gewisse Kategorien sind das Monopol der Frauen: unter den Führerinnen der Besuchergruppen, die berufsmäßig in ihren Nationaltrachten auftreten müssen und nach den Briefmarken die einträglichste

Tätigkeit der UNO entfalten, aber auch bei der Bedienung der Aufzüge gibt es keine Männer, ebenso, wie es unter den Wachen und Boten keine Frauen gibt. Die Telephone, die Betreuung der verschiedenen Eingänge und des Delegiertensaals sind die ausschließliche Domäne von Frauen. In diesem Saal, in dem sich die Stimmenbörse abspielt, werden sie ganz besonders ausgewählt. Seit eine ältere, ungemein sprachgewandte kaukasische Fürstin, deren Würde jede Vertraulichkeit verscheuchte, in Pension gegangen ist, werden die hübschesten Mädchen für den Delegiertensaal bestimmt, damit die dort versammelten Herren sich nach den akustischen Anstrengungen in den Beratungssälen an optischen und nicht nur alkoholischen Genüssen entspannen können.

Wenn man in der Hierarchie der 4393 Angestellten der Zentrale (ohne die Sonderorganisationen, die in vielen Ländern über 30.000 zählen) hinaufgeht, schrumpft das Zweidrittelübergewicht der Frauen in den unteren Rängen auf weniger als ein Viertel zusammen. Da sind auch die Übersetzerinnen, von denen es eine Unmenge gibt (sicher mehr als nötig), weil nicht nur in den Arbeitssprachen Englisch und Französisch übertragen wird. Spanier, Russen und Araber haben es durchgesetzt, daß manches auch in ihre Sprachen übersetz^ werden muß. Seit Monaten ist es sogar im Sicherheitsrat Übung, daß neben den Simultanübersetzungen in fünf Sprachen jedes Wort des Vorsitzenden, auch wenn es nur ganz formell ist („ich erteile dem Vertreter von … das Wort“) in drei Sprachen, unter Ausschaltung der chinesischen, übersetzt werden muß. Das ist nicht nur lästig, sondern es kostet auch pro Sekunde, mit Rücksicht auf die zahlreichen, hoch bezahlten Anwesenden, weit über 200 Schilling.

In den unteren Rängen der Sachbearbeiter (in P 2) ist das Verhältnis der Frauen zu den Männern noch 1 zu 2 (133:262), aber von da an ändert sich das Bild gewaltig. In P 3 und P 4 ist es nur noch ein Drittel, sinkt in P 4 auf 11 Prozent und in den Kategorien ,D 1 und D 2 auf 5 Prozent. Darüber hinaus, in den zwei Stufen unter dem Generalsekretär, ist überhaupt keine Frau mehr zu finden. Es sei aber nicht verschwiegen, daß sich die Bestrebungen, mehr Frauen in die höheren Stellen avancieren zu lassen, verstärken. Aber auch unter den vielen Bewerbern um die Nachfolge U Thants ist keine Frau.

Unter den zahlreichen Mädchen, die aus der ganzen Welt, oft unter erheblichen Opfern, zur UNO strömen, um dort auch nur eine bescheidene Beschäftigung zu finden, die ihnen zu Hause möglicherweise besonderes Ansehen verleiht, ist eine verhältnismäßig große Anzahl gebildeter, aufgeschlossener, eifriger Angestellter zu finden, deren gesundes Urteil hinter dem manches Delegierten ihres Landes nicht zurücksteht. Aber der Enthusiasmus, der sie aus weiter Ferne gelockt haben mag, wird durch ihre Beobachtungen oft gedämpft.

So kann man bei der UNO trotz aller Reden über Geschlechts- und Farbengleichheit doch zwei Pyramiden beobachten. Die der weiblichen Angestellten mit breiter Basis und jäher Zuspitzung nach oben, und die der Delegierten, mit sich verbreitender Basis der farbigen und fortschreitender Verminderung des Verhältnisses der weißen Mitglieder.

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