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Mehr scheinen als sein

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„Status“ bedeutet im amerikanischen Sprachgebrauch das. gewisse Etwas, woraus sich die gesellschaftliche Stellung des einzelnen ablesen läßt. In diesem Sinne ist „Status“ ein neuer Begriff. Das Leitmotiv des amerikanischen Lebens war seit jeher: „Du bist nicht besser als dein Nächster." Dem Skeptiker wird es genügen, die Bedienungsmethoden des amerikanischen Kellners zu erleben, um sich von der Hartnäckigkeit dieser Tradition zu überzeugen. Unter diesen Umständen ist „Status“ ein Wort, das zwar sehr ernst gemeint ist, aber nur als Witz gesagt werden darf.

In Europa haben wir seit jeher klare Klassenunterschiede gehabt. Wenn auch nicht populär, so sind sie dennoch allgemein bekannt und anerkannt. In Amerika gibt es aber weder einen anthropologischen noch einen psychologischen Herrentyp. Bis zum Börsenkrach von 1929 regierte das Geld als Wertmesser, der den Reichen eine ostentative Lebensweise erlaubte und den Mittelstand und die Arbeiter ihrem Einkommen entsprechend in Bekleidung, Wohnung usw. afa- sonderte.

Die Weltwirtschaftskrise und die seit 1939 andauernde Prosperität haben eine wahre soziale Revolution bewirkt. Mit dem Aufschwung und höheren Einkommen verbesserte sich die Lage der Arbeiter und Angestellten ganz bedeutend.

Der fast unbegrenzte Konsumkredit trug zur Aufwärtsnivellierung bei. Frauenkleider und Herrenanzüge sehen sich in verschiedenen Preislagen so ähnlich, daß man an ihnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr unterscheiden kann. Jeder besitzt einen Wagen, und die billigeren Marken sind gelungene Nachahmungen der teuren. Dank der Ratenzahlungen kann sich fast jeder ein Haus kaufen — früher ein Privileg der Wohlhabendsten. Unter diesen Umständen hat Geld als das sichtbare Zeichen der sozialen Stellung seine Bedeutung verloren. Es müssen neue Symbole gefunden werden.

Im Mai ist das neueste und vielleicht interessanteste Buch dieser Art erschienen. Der Autor ist Vance Packard, sein Buch heißt „The Status Seekers“.

Er faßt die „Status“-Merkmale in vier Gruppen zusammen, die in je sieben Stufen unterteilt werden. Gruppe Eins betrifft die Beschäftigung. Die Stufe 1 besteht aus den Direktoren der großen Aktiengesellschaften, aus führenden Aerzten, Anwälten mit Diplomen der berühmten Universitäten. Dann geht es stufenweise bergab, bis wir in der Stufe 7 die Gelegenheitsarbeiter und die Dienstboten finden.

Gruppe Zwei befaßt sich mit def Bil- dupgf Die; .höchste JDjpJotne der. vqrnehjnste.ji Universitäten und Fachhochschulen berechtigen zur Stufe 1. Auf Stufe 7 finden wir Leute, deren Schulbildung mit dem 14. Lebensjahr aufgehört hat. Gruppe Drei betrifft die heikle Frage der Einkommensquelle. Um in die führende Stufe 1 zu gelangen, muß der größere Teil des Einkommens aus ererbtem Vermögen stammen. Auf Stufe 7 stehen jene, deren Lebensunterhalt vom Wohlfahrtsamt bestritten wird oder aber aus „nicht respektablen Quellen“ herrührt, etwa aus dem Schmuggel.

Gruppe Vier betrifft den Wohnort. In der Stufe 1 besitzt man zwei Häuser, beide mit „guten Adressen“. Am anderen Ende bedeutet die Stufe 7 ein vernachlässigtes Haus oder ein Appartement im ärmsten Viertel der Stadt.

Diese Stufenfolge bestimmt die Zugehörigkeit zu fünf Gesellschaftsklassen, welche von Packard in zwei Gruppen zusammengefaßt werden: Klasse Eins, „die echt führende Klasse“, und Klasse Zwei, „die halbwegs führende Klasse", bilden die erste Gruppe: die Diplomelite. Die echt führende Klasse ist vermögend, hat Sitz m einem Aufsichtsrat der großen Unternehmungen. erzieht ihre Kinder in den besten Privatschulen. Ihren überall fühlbaren Einfluß glaubt sie aber nicht dem Gelde, sondern ihrem Verantwortungsbewußtsein der Allgemeinheit gegenüber zu verdanken.

Die aktivsten Elemente des Mittelstandes gehören in die „halbwegs führende Klasse“. Sie sind äußerst dynamisch, weniger vermögend und in den Schlüsselstellungen des wirtschaftlichen und politischen Lebens zu finden. Klasse Eins wird wohl die Firma besitzen, Klasse Zwei trifft aber die Entscheidungen. Hierher gehören auch die erfolgreichen Aerzte, Anwälte, selbständige Geschäftsleute.

Den anderen drei Klassen seiner sozialen Aufstellung verleiht Packard die Gruppenbezeichnung „Hilfs-Stand“. Die höchste von ihnen, die Klasse Drei, ist jene des „beschränkten Erfolges". Soziologen bezeichnen sie auch als niedrigen Mittelstand. Die Angehörigen dieser Klasse sind das Verkaufspersonal in den Geschäften; die Büroangesteliten besitzen kleine Farmen oder sind Facharbeiter. Sie sind besonders darauf bedacht, sich durch Benehmen und kulturelle Ansprüche von der Arbeiterklasse zu unterscheiden. „Die Unteroffiziere unserer Gesellschaft.“

Klasse Vier ist die moderne Arbeiterklasse, Oft haben ihre Angehörigen die Mittelschulstudien nicht beendet. In der Industrie arbeiten sie an Maschinen, deren Handhabung in einigen Tagen oder Wochen erlernt werden kann; sie bilden das Rückgrat der Gewerkschaften. Aus ihr rekrutiert sich das Heer der Boten, Lkw.-Fahrer, Garagenmechaniker, Hafenarbeiter und andere.

Klasse Fünf ist schließlich das Lumpenproletariat, haust in den „slums“ der Großstädte und lebt von den Wohltätigkeitsorganisationen. Da es weder Fachkenntnisse noch Ambition besitzt, ist die Aussicht auf ein Vorwärtskommen gleich Null.

Außer diesen vertikalen Klassen gibt es auch entsprechende horizontale Kategorien. In einer amerikanischen Stadt existieren nebeneinander eine angelsächsisch-protestantische Klasse Zwei, eine irisch-katholische Klasse Zwei, eine italienisch-katholische Klasse Zwei und eine jüdische Klasse Zwei. Die jüdische Gruppe unterteilt sich oft in Familien aus dem deutschen und Familien aus dem slawischen Sprachgebiet. „The Status Seekers" ist eines der seltenen Bücher, das sich mit dieser Erscheinung befaßt, obzwar sie dem europäischen Beobachter sofort auffällt.

Bezeichnend ist, daß der Uebergang aus einer .horizontalen jfCgfifie in diq andere oft schwe- rer ist als das Auf steigen von einer vertikalen Klael1Mir1an4t5P0here„D,iej verschiedenen Klassen Zwei mögen vielleicht in kulturellen und Wohlfahrtsangelegenheiten Zusammenarbeiten und ihre Mitglieder dem gleichen sogenannten Geschäftsklub angehören. Im Privatleben werden sie sich aber nur selten treffen und sie werden ihre besonderen — und gegenseitig exklusiven — Gesellschaftsklubs besuchen. Der gleiche Unterschied ist auch bei anderen Klassen zu bemerken. In Klasse Vier zum Beispiel bilden die Neger einerseits und die Puertbrikaner anderseits weitere horizontale Kategorien.

Es gibt natürlich auch Ausnahmen. In den Millionenstädten verschwindet der Kontrast der Klassen und ihrer Merkmale. Die Intellektuellen, die sich in keine Klassen hundertprozentig einfügen lassen und horizontale Kategorien verabscheuen, besitzen ihre eigenen „Spielregeln“. Die Juden sind, trotz der weitgehenden Möglichkeiten, ihr religiöses und rassisches Eigenleben zu entfalten, durch unsichtbare Mauern isoliert. Zum gesellschaftlichen Antisemitismus gesellt sich noch der „numerus clausus“ einiger medizinischer und juridischer Fakultäten sowie einiger technischer Hochschulen.

Der einzelne Amerikaner kann seine Beschäftigung und sein Einkommen nicht mit einem Schlag ändern. Will er seinen „Status" verbessern, muß er sich auf die Probleme Bildung und Wohnort konzentrieren. Deshalb legt er besonderen Wert auf die Schulung seines Sohnes und würde sich selbst in Schulden stürzen, um ihn auf die bestmögliche Universität zu schicken. Deshalb wird er selber, wenn nur irgendwie möglich, die Abendkurse einer Universität besuchen, um ein höheres Diplom zu bekommen. Und da auch die „gute Adresse“ so ausschlaggebend ist, lebt er oft über seine Verhältnisse, zahlt in der Stadt höhere Mieten, kauft in den Villenvierteln ein teueres Haus.

Das Diplom und die Adresse sind Klassenmerkmale, die geschickt „gerichtet“ werden können. Mit welchem Erfolg, bleibt dahingestellt. Vance Packard scheint überzeugt zu sein, daß sich die Klassenunterschiede versteifen. Es wird immer schwerer, von einer Klasse in die andere aufzurücken. Die „soziale Mobilität“, die für die amerikanische Gesellschaft charakteristisch war, droht zum sozialen Status quo zu werden: Vom Land der unbegrenzten zum Land der begrenzten Möglichkeiten .. .

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