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Die Turnschuh - Demokraten

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Seit Zwentendorf und Hainburg wächst der Mut der Unzufriedenen. Es sind Bürgerinitiativen, Umwelt­gruppen oder Einzelkämpfer für ökologisch verträgliche Wirt­schafts- und Gesellschaftsformen, die sich plötzlich nicht mehr - wie bisher - damit begnügen, als Mah­ner und Aufdecker zu agieren. Sie i drängen in die verschiedenen politischen Gremien hinein, sie kandi­dieren für Gemeinderatsmandate, oder sogar für den Nationalrat.

Eine von diesen „Unzufriedenen", die es selbst besser machen wollen, ist Elfi Westhoff, Hausfrau. und Mutter von zwei kleinen Söhnen in Ebreichsdorf (NÖ), das durch CKW-verseuchtes Trinkwasser zu trauri­ger Berühmtheit gelangte. Sie er­wartete ihr erstes Kind, als die er­sten Meldungen von „Brunnenver­giftung" in ihrem Heimatort die Be­völkerungverunsicherten. „Das war vor acht Jahren - und bis heute ist in Ebreichsdorf ein ganzer Ortsteil ohne Trinkwasser ".erzählt sie. „Die versprochene Wasserleitung gibt es bis heute nicht, und außer Be­schwichtigungen und Versprechun­gen hat die Gemeinde bis heute nichts geboten." Durch Diskussio­nen mit anderen Betroffenen, die täglichen Versorgungsschwierig­keiten mit Wassercontainern und Mineralwasserschleppen entstand eine kleine Gruppe, die in Eigenre­gie Recherchen bei der Landesre­gierung anstellte und bald konkre­te Vorschläge für den Wasserlei­tungsbau unterbreitete.

„Wir dachten nicht daran, Ge­meindepolitik zu machen. Wir for­mulierten unsere Wut über die schleppende Arbeit der Verantwort­lichen, lernten bald mit dem büro­kratischen Apparat umzugehen und gesetzliche Bestimmungen zu deu­ten. Nach und nach hat sich die Arbeit dieser Gruppe auch auf andere Gemeindeprobleme ausge­dehnt. Siedlungspolitik - in dieser Region südlich von Wien ein großes Thema -, Müllentsorgung oder Stra­ßenbau sind ebenfalls zu unseren Themen geworden. Der Zuspruch aus der Bevölkerung hat uns den Rücken gestärkt, einen Verein zu gründen und als Bürgerliste im März bei der Gemeinderatswahl zu kan­didieren", meint Elfi Westhoff, deren Engagement sich heute zu einem arbeitsintensiven Nebenjob entwickelt hat.

In der Gruppe, in der das Thema „Trinkwasser" keine Zeit dafür ließ, ein politisches „Wie" zu klären, gibt es jetzt bereits heiße Diskussionen, die ganz typisch für eine „überpar­teiliche" Gruppierung sind. „Nach­dem sich hier Leute verschieden­ster Gesellschaftsschichten und ver­schiedenster politischer Nahever­hältnisse zusammengefunden ha­ben, stellt sich die Frage: machen wir alternative Politik mit alterna­tiven Mitteln? Also ohne Stimmenfang um jeden Preis, ohne Gesichts­bad bei Bällen und Ehrungen, ohne Rund-um-die-Uhr-Einsatz oder machen wir alternative Politik mit etablierten Mitteln? Außerdem zeigt sich die Schwierigkeit, Basisdemo­kratie innerhalb einer Bürgerini­tiative aufrechtzuerhalten. Gleiches Stimmrecht für den .harten Kern' aber auch für Uniformierte und Querulanten, die sich leicht dai.u-gesellen, ist äußerst fragwürdig", beschreibt Elfi Westhoff erste Er­fahrungen, „Basisdemokratie in Form von Bürgergesprächen haben sich bis jetzt als sehr fruchtbar und sinnvoll erwiesen."

Einer Bürgerinitiative, die es „bereits geschafft hat", gehört Martin Fasan an, Mittelschullehrer für Turnen und Geschichte, seit fünf Jahren Gemeinderat in Neunkir­chen (im südlichen Wiener Becken).

Er gründete als Student mit Freunden eine Umweltgruppe, die sich für die Gemeindepolitik zu interessieren begann. Nach ersten „Stadtumweltpreisen" und wach­sender Bekanntheit durch Diskus­sionsveranstaltungen und Aktionen wagte man sich zu fünft an eine Kandidatur für das Stadtparlament und erreichte drei Mandate.

Wie sieht er die Knochenarbeit in einem Gemeinderat, den bürokra­tischen Dschungel von Ausschüs­sen, Verordnungen und Hintertürin? „Im Gemeinderat war man von unserem Einzug und unseren Vor­schlägen so überrascht, daß man sich erst an die unerwünschte und ungewohnte Kontrolle gewöhnen mußte. Unsere Vorschläge - von Stadtentwicklung bis zur Abfall­vermeidung - waren außerdem vor fünf Jahren noch gänzlich neu für eine derartige Kleinstadt, in der man vor allem Arbeitsplätze erhalten wollte und Gemeindewohnungen baute."

Die Schwäche der Gemeindepo­litiker liege vor allem in der Unin-f ormiertheit, in der Art ihrer Aus­wahl - nicht nach Interessengebie­ten und Fähigkeiten, sondern oft nach Parteinotwendigkeit.

Die Qualität einer Bürgerinitiati­ve liege vor allem in der Politisie­rung der Bevölkerung ganz allge­mein. Durch mehr Diskussion in einer Gemeinde werden Zeitungen aufmerksamer gelesen, die Zusam­menhänge mit Landes- und Bun­despolitik werden klarer. Der Bo­den für mehr politisches Bewußt­sein und die Wahrnehmung der demokratischen Rechte werde be­reitet.

Politik auf dieser Ebene kann also durchaus effizient sein. Auch die Motivierung für den Wähler, das kleine Stückchen Heimat zu erhal­ten und zu gestalten, ist verständ­lich und einfach.

Ganz anders in der „höchsten Etage", dem Nationalrat. Monika Langthaler, 24 Jahre alt und Che­mikerin im Ökologie-Institut, will als parteiungebundene Kandidatin für die Grüne Alternative trotzdem hinein. Im Rahmen ihrer Arbeit mit vielen konkreten Vorschlägen zur effizienten Verbindung von Ökono­mie und Ökologie vertraut, möchte sie nun auf höchster Ebene poli­tisch agieren, obwohl sie die Chan­cen der Veränderung für eine kleine Parlamentsfraktion durchaus rea­listisch sieht: „Die Macht eines Na­tionalrats liegt weniger in der Ar­beit in den Ausschüssen, obwohl ich auch dort auf die grundsätzli­che Absicht hoffe, eine bessere und lebenswertere Welt mitzubauen. Sie liegt vielmehr in der Möglichkeit, mit Pressekontakten die eigene .Prominenz' zu nützen, um Themen immer wieder in die Öffentlichkeit zu bringen. Erst dann wird die Bevölkerung bereit sein, die nöti­gen gesetzlichen Beschränkungen im Umweltbereich zu akzeptieren."

Dem allerorts üblichen Taktieren als politisches Instrument will sie sich verschließen, und sie hofft, auch als Nationalrätin ihre Theorien in der Praxis leben zu können.

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