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Diener eines Herrn

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„Dienen“ bedeutet, jemandem Macht über sich einräumen. Das tun, was er sagt, weil man ihn höher einschätzt j- in irgendeiner Beziehung -als sich selbst. Abgesehen von der sozialen Hierarchie, in die wir alle unfreiwillig hineingestellt sind, unterstellt sich jeder Mensch selber auch ganz bewußt irgend jemandem.

Eine große Gruppe von Menschen dient nur dem eigenen Ich. Alles Handeln ist demnach auf Machterweiterung angelegt, sei es in Form von Geld, Einfluß, Prestige oder einer besseren sozialen Stellung. Dazu ist kein Seitenblick auf andere nötig - diese trifft höchstens ein verächtlicher Blick,

wenn sie „tiefer“ stehen, oder ein neidischer Blick, wenn sie „höher“ stehen.

Eine andere Menschengruppe sucht sich ein „zweites Ich“; ich meine damit jene Menschen, die sich völlig abhängig machen von einem anderen Menschen. Seine Meinung wird zur Norm, seine Handlungen beispielhaft; er ist erhaben über jede Kritik, und wer immer daran zu rütteln oder zu zweifeln wagt, wird zum persönlichen Feind. Wenn ein Mensch einem anderen Menschen hörig wird, dann versucht er gar nicht mehr, seine Talente und Fähigkeiten auszubilden; die Verwirklichung des Bildes, das der andere von

ihm hat, wird für ihn- zur Selbstverwirklichung. Damit wird aber auch jede Art von Selbstverantwortung aufgegeben.

Ich denke, daß dies auch für jene Menschen zutrifft, die eine Ideologie als den für ihr Leben verbindlichen Maßstab ansehen. Die von Menschen entwickelten Ideen werden zur kritiklos bejahten, verpflichtenden Norm. Jene „Gläubigen“, die sich auf Grund der gemeinsamen Idee als Elite verstehen, sehen sich berechtigt - oder verpflichtet -, Andersdenkende geringzuschätzen, zu verachten, als Feinde zu betrachten. Der Wert eines Menschen hegt dann nicht mehr im Einsatz all seiner Fähigkeiten, um durch beständiges Suchen und Infragestellen einen Beitrag zur persönlichen und weltweiten Entwicklung und Verbesserung zu leisten; oberstes Gebot wird der unbedingte, nicht fragende oder kritisierende Gehorsam der Idee und ihren Hütern gegenüber.

Wo wäre hier das Christentum einzuordnen? Wem dienen die Christen? Auch wir räumen jemandem Macht über uns ein - Gott. Auch wir machen uns total abhängig - von Christus (daher der Name). Also eine billige Flucht aus der Selbstverantwortung, aus einer schlechten Welt in eine Utopie? Blinder Glaube an eine Ideologie?

Wer in den „Dienst“ Christi tritt, dem wird sehr bald klar, daß es ums Ganze geht. Da gibt es keine gleitende Arbeitszeit und auch kein Abgrenzen von Verantwortungsbereichen. Die erste Vertragsklausel lautet, daß es den Diener vor allem anderen sein Leben kostet. Da steht auch nichts von Recht auf Urlaub, Recht auf einen Arbeitsplatz oder Lohnerhöhung.

Dieses Dienstverhältnis muß aber doch auch Vorteile mit sich bringen -oder überwiegt bereits die Zahl der Masochisten und Selbstmordkandidaten? Welches ist die Frohbotschaft, die dieser Herr für seine Diener bereithält?

Er will befreien aus jeglicher Art von Fixierung. Er bringt die Befreiung vom eigenen Ich durch den Bück auf den Nächsten, indem er sagt, daß er in allen Menschen zu finden ist. Aus dem Leistungs-, Profit- und Machtdenken holt er die Menschen heraus, wenn er immer wieder betont, daß wir letztlich alles als Geschenk erhalten haben und uns nur das Verfügungsrecht zusteht.

Er will seine Diener zu Freunden machen, damit sie selber seine Geschenke austeilen: Die innere Freiheit und daraus erstehend Freude und inneren Frieden; und vor allem eine tiefe Liebe, die mehr ist als Humanismus oder soziales Denken; eine Liebe, die den anderen ernst nimmt, bejaht und zu verstehen sucht und ihn dadurch aus seiner Isolierung befreien kann. Die Verantwortung der Christen besteht im Leben dieser Frohbotschaft, also im Dienst an den Mitmenschen.

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