Der „Fall Lintner“ oder: Kampf um Rom
Das Veto des Vatikans gegen die Wahl des Südtiroler Moraltheologen Martin M. Lintner zum Dekan der Hochschule Brixen offenbart das (intrigante) Ringen um den Kurs der Kirche. Ein Gastkommentar.
Das Veto des Vatikans gegen die Wahl des Südtiroler Moraltheologen Martin M. Lintner zum Dekan der Hochschule Brixen offenbart das (intrigante) Ringen um den Kurs der Kirche. Ein Gastkommentar.
Brixen liegt auf halber Strecke zwischen Brenner und Bozen. Benedikt XVI. machte im dortigen Priesterseminar Urlaub, schon als Kurienkardinal. Und nun schaut ganz Italien und halb Europa auf die Kleinstadt am Eisack, die weniger als 25.000 Einwohner hat. Ein regelrechter Solidaritäts-Tsunami ist auf den Servitenpater Martin M. Lintner eingebrochen. Der Grund: Der Vatikan, genauer das zuständige Dikasterium für die Kultur und die Bildung, verweigerte Lintner, der bereits im November 2022 zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen gewählt und von Bischof Ivo Muser darin bestätigt worden war, das Nihil obstat. Seine Lehrbefugnis war von der Maßnahme aber ausdrücklich ausgenommen. Bemerkte keiner den Widerspruch: leiten und repräsentieren nein, lehren ja?
Gegenüber der Wochenzeitung Christ & Welt beteuert Lintner: „Ich bin kein Irrlehrer.“ Über seine Reputation heißt es hier: „In Fragen der Sexual- und der Tierethik zählt er zu den Renommierten seines Faches im deutschsprachigen Raum, genießt auch in Italien hohes Ansehen.“ Und: „Für die Kollegen in Deutschland sind Lintners Positionen mittlerweile Konsens innerhalb der deutschsprachigen Moraltheologie und weit darüber hinaus.“
Orientiert am Menschen und dessen Nöten Im Vatikan – und andernorts – sieht man das offenbar anders (vgl. den Bericht von Doris Helmberger in der letzten FURCHE). Und das macht die Sache so undurchsichtig: Geht es um Lintners Eintreten für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare? Um sein Buch „Den Eros entgiften“ (2011)? Eckt an, dass „Homosexualität gottgewollt“ sei, wie auch der Aachener Bischof Helmut Dieser meinte? Oder geht es grundsätzlich um Lintners Plädoyer für eine am konkreten Menschen orientierte, die Vielfalt von Lebensentwürfen berücksichtigende Moraltheologie – weg von Gebots- und Verbotsmoral? Wenn sich diese Mutmaßung bestätigte, wäre Lintner Opfer eines Stellvertreterkriegs: Man schlägt den Sack und meint den Esel!
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