Papst 2023 - © Foto: APA / AFP / Alberto Pizzoli  - Papst Franziskus beim Requiem für Benedikt XVI., 5.1.2023

10 Jahre Franziskus: Ein Papst mit allen Sinnen

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Eine Durchsicht von Meldungen über Papst Franziskus aus dem Jahr 2022 gewährt Einblick in seine schillernde Persönlichkeit und hilft auch, des Pontifex umstrittene Äußerungen einzuordnen.

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Eine Durchsicht von Meldungen über Papst Franziskus aus dem Jahr 2022 gewährt Einblick in seine schillernde Persönlichkeit und hilft auch, des Pontifex umstrittene Äußerungen einzuordnen.

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Fratelli e sorelle: Buona sera! Es war eine Captatio Benevolentiae sondergleichen, mit der sich Jorge Mario Bergoglio am 13. März 2013 auf der Loggia des Petersdoms als Bischof von Rom präsentierte. Man habe ihn vom Ende der Welt hierhergeholt, und er bitte die Gläubigen, zum Herrn zu beten, er möge ihn segnen, so wie er nun sie segnen würde. In diesem knappen Intro war mehr an Programm enthalten, als zunächst zu ahnen war. Etwa die Demut eines Jesuiten, der den Weg seines Ordens von einem Bahnbrecher der Gegenreformation hin zu einem der Träger des Zweiten Vatikanischen Konzils und zur Rezeption der Theologie der Befreiung mitvollzogen hat. Es sei wahr, dass es ein Jahrhundert dauere, bis ein Konzil Wurzeln schlage, so Franziskus im zehnten Jahr seines Pontifikats: „Wir haben also noch 40 Jahre Zeit, um es zu etablieren.“

Von der Kirche hat Franziskus eine dynamische Vorstellung, und er erlahmte auch in seinem 86. Lebensjahr nicht im Bemühen, sie durchzusetzen. Katholisch sein bedeute nicht ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. 2022 focht er diesen Kampf am eindringlichsten in dem Lehrschreiben Desiderio desideravi aus, in dem er erörterte, wa­rum er die von seinem Vorgänger Benedikt XVI. ausgeweitete Tolerierung der tridentinischen Messfeier wieder eingeschränkt hat.

In seiner Predigt zum 60-Jahr-Jubiläum der Konzilseröffnung definierte Franziskus die Kirche wortwörtlich mit einer Formel des Ordensvaters Ignatius von Loyola: Sie ist die „heilige hierarchische Mutter“. An dieser Grundauffassung spießt sich aktuell die Auseinandersetzung um den weltweiten synodalen Prozess und den Synodalen Weg in Deutschland. Da der Papst aus Argentinien „die Gnade Jesu“ in der Stellung des Bischofs als „Hirte seines Volkes“ erblickt, widerspricht dies einer „Kirche von unten“ wie auch quasi sakramental aufgefassten Bischofskonferenzen, die „nicht jesuanisch“ seien und „keine Verantwortung aus Fleisch und Blut tragen“.

Umgekehrt erklärt die ignatianische Formel, warum Franziskus und Benedikt einander trotz offensichtlicher Divergenzen ohne Heuchelei achten konnten. Und insofern ist es paradox, dass Franziskus unablässig gegen Klerikalismus, Verkrustung und falsch verstandene Traditionspflege wettert. „Klerikalisierte Laien“ sind für ihn das allerschlimmste Zerrbild von Christen.

Dass der „Bischof von Rom“ dennoch hohes Ansehen auch außerhalb der katholischen Kirche genießt, liegt wohl daran, dass er von ­Jesus nicht nur spricht, sondern zutiefst berührt ist, eben im vollen Sinn ein Jesuit ist. Der mittlerweile 86-Jährige spricht die Sprache unserer Zeit. Er träumt von „Champions der Geschwisterlichkeit“; in Phasen der Trostlosigkeit leuchtet für ihn eine „Ampel rot auf“ und gebietet: „Bleib stehen“; Entscheidungen hätten natürlich einen Preis, man gewinne sie „nicht in der Lotterie“.

Franziskus doziert nicht, sondern hat im Hinterkopf den Alltag: „Vielleicht weinen wir, wenn etwas passiert, das uns berührt, oder wenn wir die Zwiebel schneiden.“ Das Betrachten und Leben mit allen Sinnen, zu dem Ignatius in seinen „Geistlichen Übungen“ anleitet, durchsättigt seine Sprache. Da wird geatmet, gerochen und gespürt, geschrien und auch geschwiegen.

„Tratschtanten“ und andere Fettnäpfchen

Mitunter geht Franziskus bis zur, ja über die Grenze: Seine Erwähnung des Ausspruchs eines Politikers, wonach Putins Aggression durch das „Bellen an der Tür Russlands“ ausgelöst worden sein könnte, hat ihm den Vorwurf der Linkslastigkeit eingetragen, und seine Warnung vor „Tratschtanten“ und „geschwätzigen alten Frauen“ in Klöstern hat vor allem im deutschen Sprachraum heftigen Widerstand hervorgerufen.

Die inkriminierte Äußerung war in einer im November 2022 frei gehaltenen Rede in Rom vor Rektoren der Priesterseminare Lateinamerikas gefallen, in der der Papst mit drastischen Worten Fehlformen der Priesterausbildung geißelte. Er begrüßte das Dikasterium mitsamt dem Kardinal-Staatssekretär und den „Rest der Bande“, legte den zwölfseitigen Redetext beiseite und erwähnte „Ordensgemeinschaften, die eine Katastrophe sind und nach und nach aufgelöst werden müssten“. Mancher Seminarist stehe einem Mädchen in der Gemeinde nahe: „Später heiraten sie, und das ist recht so. Das ist die christliche Familienbewegung, die da am Werk ist …“ Schwer vorstellbar, dass der heilige Johannes Paul II. so gesprochen hätte.

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