Österreichs Amnesty-Chefin fordert automatischen Schutz für Frauen und Mädchen aus Afghanistan

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Mädchen und Frauen aus Afghanistan sollten hierzulande ohne Hürden Schutz erhalten, fordert Annemarie Schlack von Amnesty Österreich. Ein Appell im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

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Mädchen und Frauen aus Afghanistan sollten hierzulande ohne Hürden Schutz erhalten, fordert Annemarie Schlack von Amnesty Österreich. Ein Appell im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

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Eine Aussage von Außenminister Alexander Schallenberg bleibt mir wohl ewig in Erinnerung: Im August 2021 hatte er erklärt, er werde die Taliban an ihren Taten messen – was zynisch anmutete: Genau jene, die rund 20 Jahre zuvor für ein System standen, in dem die Menschenrechte, speziell die Rechte der Frauen, missachtet wurden, sollten nun „Taten sprechen lassen“, die dem Werte- und Rechtssystem der internationalen Gemeinschaft entsprächen? Schnell war klar, dass aus dem Zynismus für die Menschen in Afghanistan Realität wurde.

Seit bald zwei Jahren geht dieses Land unaufhörlich in die falsche Richtung, entfernt sich immer mehr von den Werten und Rechten, die davor in jahrzehntelangen Bemühungen engagierter Menschen errungen wurden. Mittlerweile sind Frauen in Afghanistan praktisch vollständig vom öffentlichen Leben ausgeschlossen; sie dürfen nicht mehr allein auf die Straße gehen, großteils keinen Beruf ausüben und keine weiterführenden Schulen und Universitäten besuchen. Sie „sterben einen langsamen Tod“, wie es eine Afghanin vor Ort im Gespräch mit Amnesty International einmal ausgedrückt hat. Und die Welt schaut zu – oder besser gesagt: Sie schaut weg. Auch Österreich.

Pluspunkte für Beamte bei Negativbescheid

Vor einiger Zeit haben wir, also das Team von Amnesty International, dem österreichischen Innenminister Gerhard Karner und Außenminister Schallenberg die dramatische Lage in Afghanistan erneut im Detail geschildert, ihnen die „Taten“, an denen Schallenberg die Taliban messen wollte, präsentiert und an die Aussagen vom August 2021 erinnert. Abseits von „Wir beobachten die Lage“ sowie komplizierten und juristisch verschnörkelten Erklärungen war in dem Antwortschreiben jedoch vor allem zu lesen, dass Österreich ohnehin schon so viele Asylwerber und Asylwerberinnen aus Afghanistan aufgenommen habe.

Derzeit dominiert bei den Asylbehörden erster Instanz ein Grundsatz des Misstrauens und der Ablehnung.

Ja, das stimmt. Tatsächlich, so geht es aus der Statistik des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR hervor, hatte Österreich in den Jahren 2017 bis 2021, gemessen an der Einwohnerzahl des Landes, weltweit die höchste Rate an positiven Asylbescheiden. Das gilt auch für afghanische Geflüchtete: Die meisten afghanischen Frauen und Männer, die bei uns um internationalen Schutz ansuchen, erhalten diesen auch. Aber – und es wäre zu schön, um wahr zu sein, gäbe es dieses Aber nicht: Der Weg dorthin ist lang, steinig und extrem ineffizient.

Warum ist das so? Anders formuliert: Wie könnten die unzähligen Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden – für alle Beteiligten, also sowohl für Asylwerber als auch für Behörden, und last but definitely not least im Sinne der Menschenrechte?

Unrecht, das von den Taliban ausgeht

Mein Zugang dazu ist naheliegend: Österreichs Entscheidungsträger(inn)en sollten als Reaktion auf die unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die von den Taliban ausgehen, genau diese Menschenrechte ins Zentrum ihres politischen Handelns stellen. In Afghanistan sind vor allem Frauen und Mädchen in dauerhafter Gefahr um Leib und Leben. Sobald sie davor fliehen, haben sie im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention Anspruch auf Asyl in dem Land, in dem sie darum ansuchen. Was spricht also dagegen, ihnen automatisch Schutz zu gewähren? Sie nicht nur durch ein elend langes, aufwendiges, teures Asylverfahren zu schleppen, sondern den Frauen und Mädchen aus Afghanistan - ähnlich wie bereits in Schweden und Dänemark - automatisch den Asylstatus aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Verfolgung zuzuerkennen?

Damit würde man nicht nur Rechtssicherheit und Ressourceneffizienz schaffen, sondern könnte auch den zum Teil systemimmanenten Fehlentscheidungen der Asylbehörden begegnen. Denn derzeit dominiert gerade bei den Asylbehörden erster Instanz ein Grundsatz des Misstrauens und der Ablehnun g. Statt objektiv die Fluchtgründe zu untersuchen, wird eher versucht, sie zu widerlegen und den Asylantrag abzulehnen.

Ob das an mangelnden Ressourcen, Überlastung der Behörden oder vielleicht auch an dem in Österreich etablierten System liegt, dass ein negativer Asylbescheid für die ausführenden Beamt(inn)en mehr Punkte in ihrem Controllingsystem bringt, sei dahingestellt.

Ressourcen des Staates effizient nutzen

Die Zahlen zeigen, dass in den vergangenen Jahren nahezu alle Afghaninnen und Afghanen hierzulande einen Schutzstatus erhalten haben – weil sie um ihr Leben fürchteten und fliehen mussten. Würde ihnen dieses Recht automatisch zuerkannt, so entspräche das nicht nur den völkerrechtlichen Verpflichtungen, zu denen sich Österreich bekannt hat, sondern führte überdies zu deutlich mehr Effizienz in der Verwaltung. Man käme also schneller und auch menschenwürdiger zu dem gleichen Ergebnis wie bereits jetzt.

Daher lautet mein Appell an die politisch Verantwortlichen (nicht nur) in Österreich: Die Achtung der Menschenrechte ist unbestritten und eine völkerrechtliche Verpflichtung. Sie in den Mittelpunkt politischen Handelns zu stellen, dient aber durchaus auch den Eigeninteressen des Staates, damit die eigenen Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden.

Die Autorin ist die Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation „Amnesty International“ in Österreich und setzt sich für Menschenrechte im globalen Kontext ein.

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