Wo die Toleranz enden sollte

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Es gibt ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Aber gilt das auch für die öffentliche Verbrennung des Korans? Ein Gastkommentar.

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Es gibt ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Aber gilt das auch für die öffentliche Verbrennung des Korans? Ein Gastkommentar.

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Wir leben in einem Zeitalter der Provokationen. Proteste gegen Regierungen, gegen Religionen, gegen gesellschaftliche Zustände nehmen immer wieder Formen an, die mehr zur Verschärfung als zur Lösung von Problemen beitragen. In erster Linie geht es darum, Aufmerksamkeit zu erregen, mitunter wird auch vor bösartiger Diffamierung der Gegenseite, ja sogar vor brutaler Gewalt nicht zurückgeschreckt. Damit stellen sich einige Fragen: Welche Formen von Protest sind legitim und in einer freien Gesellschaft verkraftbar? Kann ein hehrer Zweck böse Mittel heiligen? Wann sind Provokationen zwar gerechtfertigt, aber politisch unklug und kontraproduktiv?

Wie immer gilt es, zwischen den verschiedenen Protesten zu differenzieren. Für friedliche Demonstrationen und damit verbundene Arbeitsniederlegungen sollte in jeder humanen Gesellschaft Platz sein. Kein Verständnis muss man jedoch für jene aufbringen, die – wie jüngst in Frankreich – ihre Wut über eine Polizeiaktion mit tödlichem Ausgang zum Anlass für eigene gewalttätige Ausschreitungen nehmen. Impfgegner sind zu respektieren, wenn sie ihr Anliegen nicht mit dem Einschüchtern von medizinischem Personal verbinden. Die Sorgen der „Klimakleber“ kann man verstehen, aber ihr zeitweiliges Lahmlegen des Verkehrs und Verärgern der Autofahrer dürfte ihren Zielen mehr schaden als nützen.

Mit Füßen treten, was anderen heilig ist?

Großes Aufsehen erregte unlängst eine Provokation in Schweden. Ein Mann trat im Rahmen einer Demonstration ein Exemplar des Korans, des heiligen Buches der Muslime, mit Füßen und verbrannte mehrere Seiten, noch dazu vor der Hauptmoschee in Stockholm unmittelbar nach dem Mittagsgebet. Die schwedische Polizei hatte die vorher angekündigte Aktion genehmigt, nachdem bisherige Verbote ähnlicher Kundgebungen von den Gerichten mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit gekippt worden waren. Der aus dem Irak stammende Täter durfte deshalb seiner Abneigung gegen den Islam auf diese Weise Ausdruck verleihen.

Dass es unter Muslimen und in vielen islamischen Ländern eine Welle der Empörung gab, sollte uns verständlich sein, und zwar nicht erst, seit auch die inzwischen abgesagte Verbrennung einer Tora und einer Bibel angekündigt wurde. Nicht nur Muslime, auch Christen und andere Menschen, denen in dieser Welt noch etwas heilig ist, leiden darunter, wenn man nicht nur alles kritisieren darf – was durchaus legitim ist –, sondern es auch buchstäblich mit Füßen treten und öffentlich zerstören kann.

Das schwedische Außenministerium hat die Koran-Verbrennung inzwischen verurteilt und bekundet, man habe „volles Verständnis dafür, dass die islamfeindlichen Handlungen, die bei Demonstrationen in Schweden von Einzelpersonen begangen wurden, für Muslime beleidigend sein können“. Natürlich weiß man in Stockholm, dass die Angelegenheit außenpolitisch schädlich für Schweden ist und dass dadurch ein baldiger NATO-Beitritt des Landes, der von einer Zustimmung der Türkei abhängt, gefährdet werden könnte.

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