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Domäne des Auslands

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Das seit Jänner 1984 bestehende Ludwig Boltzmann-Institut für neuere österreichische Geistesgeschichte wurde bereits im Oktober 1983 von der Präsidentin der Boltzmann-Gesellschaft, Hertha Firnberg, und dem wissenschaftlichen Leiter des Institutes, Norbert Leser, im Presseclub Concor-dia einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert. Leser wurde mit diesem Institut in seinem großen wissenschaftlichen Engagement um die österreichische Geistesgeschichte gewürdigt.

Ausgangspunkt der Überlegungen, die zur Gründung eines Institutes mit dem Schwerpunkt „neuere österreichische Geistesgeschichte“ führten, war die Erkenntnis, daß ein offensichtlich vorhandenes Defizit bei der Aufarbeitung der neueren österreichischen Geistesgeschichte abgebaut werden sollte. Bis auf wenige, vereinzelte Initiativen in Österreich selbst, war die österreichische Geistesgeschichte vielfach eine Domäne ausländischer Forscher. Eine österreichische Geistesgeschichte gibt es von Albert Fuchs mit dem Titel „Geistige Strömungen in Österreich 1867 - 1918“, neu aufgelegt 1949 mit einem Vorwort von Friedrich Heer.

Eine weitere Studie zum Thema legte der Amerikaner William M. Johnston mit seinem Werk „The Austrian Mind. An Intellectual and Social History 1848-1938“ 1972 vor — dieses Buch erschien auch in . deutscher Ubersetzung im Bühlau-Verlag. Der österreichischen Geistesgeschichte nehmen sich immer wieder bekannte Wissenschaftler, wie Claudio Magris aus Triest (Der Habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur, Salzburg, Otto Müller 1966), Carl E. Schorske, Stephen Toul-min, Allan Janik, Michael Worbs, Peter Hänak, György Konrad, Gotthart Wunberg, Joseph Peter

Stern und andere an, um nur eine Auswahl zu nennen.

Die ausländischen Initiativen stellen eine positive Herausforderung zu einer verstärkten Beschäftigung mit dieser MateYie an Ort und Stelle dar, das kulturelle Erbe der österreichischen Vergangenheit zu pflegen und alles zu tun, um die vorhandenen Dokumente zu sichten und die Zusammenhänge zwischen prägenden Persönlichkeiten und den geisti-

gen Strömungen auf der einen Seite und den gesellschaftlichen Hintergründen anderseits herauszustellen. Im besonderen umfaßt diese neuere österreichische Geistesgeschichte die Zeit des Fin-de-Siecle sowie die Zwischenkriegszeit, deren Leistungen heute noch weltweite Bedeutung besitzen.

Neben Dokumentationsarbeiten konnten 1985 durch großzügige Spenden des amerikanischen, auch in Wien beheimateten, Konzerns Sperry zwei Symposien unter internationaler Beteiligung abgehalten werden.

Am Symposion „Die Wiener Schule der Nationalökonomie“ im Februar des vergangenen Jahres in der österreichischen Akademie der Wissenschaften zeichneten in- und ausländische Experten in ihren Vorträgen ein facettenreiches Bild dieser Wiener oder österreichischen Schule, deren heute bekanntester Vertreter, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Nationalökonom und Alt-Liberale Friedrich von Hayek, der vierten Generation dieser Schule zugerechnet wird. Zum 125. Geburtstag von Theodor Herzl folgte vom 1. bis 3. Mai 1985 das Sympo-

sion „Theodor Herzl und das Wien des Finde-Siecle“ im Festsaal des alten Wiener Rathauses in der Wipplingerstraße.

Weitere Symposien sind für die nähere Zukunft vorgesehen, — wobei eine verstärkte Zusammenarbeit mit an Österreich interessierten Institutionen und Forschern angestrebt wird. Dies gilt vorrangig für den Donauraum, Italien, Frankreich und England, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz, die wegen der dort praktizierten Minderheitenpolitik auch für österreichische Belange Lösungen anbieten könnte, sowie für die USA.

Als erster Band einer neuen Böhlau-Schriftenreihe des Instituts wurde im Spätsommer 1985 eine Neuauflage des zentralen Teiles des Leserschen Standardwerkes „Zwischen Reformismus und Bolschewismus“ präsentiert. Der zweite Band ist gewissermaßen ein Buch als Ort einer amika-len Begegnung mit dem Titel „Heer-Schau“ und dem Untertitel „Briefe an und über Friedrich Heer“ - eine posthume Würdigung dieses bedeutenden Österreichers. Weitere Editionen dieser Reihe sind in Arbeit, darunter eine Werkauswahl des österreichischen slowenischen Schriftstellers Ivan Cankar, eine Studie über innerparteiliche Verbindungen Österreichs mit Italien vor 1914, die Ubersetzung politisch-philosophischer Korrespondenzen italienischer mit österreichischen Politikern, ebenfalls für die Zeit vor 1914, eine Studie über die tschechische Jan-Comenius-Schule, sowie ein mehrere Bände umfassendes Lexikon über jüdisch-österreichische Geistesgeschichte, ein Projekt, das von der österreichischen Nationalbank gefördert wird.

Der Autor ist Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut für neuere österreichische Geistesgeschichte.

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