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ZEIT GESCHICHTE

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Der zur Zeit der Französischen Revolution entstandene Begriff „Zeitgeschichte“ für die Epoche der „Mitlebenden“ hat sich im deutschen Sprachgebrauch bekanntlich erst nach dem Ersten Weltkrieg eingebürgert, obwohl Zeitgeschichte bereits in der Antike und im Mittelalter betrieben worden ist. In Österreich wurde Zeitgeschichte als akademisches Fach und als wichtiger Bereich des Geschichtsunterrichtes offiziell durch die von Ludwig Jed-licka initiierten Expertentagung anerkannt, die das Bundesministerium für Unterricht im Dezember 1960 in Reichenau veranstaltete. Wenige Monate später, im März 1961, hat Alphons Lhotsky bei der Langenloiser Tagung des Instituts für Österreichkunde daher ausdrücklich festgestellt: „Die Zeitgeschichte, nach der so heftig und mit größter Berechtigung verlangt wurde, ist kein Wunsch-traum mehr...“

In den seither vergangenen zwölf Jahren hat sich dUe wissenschaftliche Basis der Zeitgeschichte in Österreich beträchtlich verbreitert. Auch im Schulunterricht wird sie — wie die jährlichen Befragungen der Studenten der Geschichte zumindest an der Universität Salzburg zeigen — weit mehr behandelt als noch vor wenigen Jahren. Die NS-Zeit und die Epoche nach 1945 wird allerdings nach wie vor nur von sehr wenigen Lehrern und meist nur ganz kursorisch erörtert. Das dürfte jedoch außer auf politische Hemmungen (bei der älteren Generation der Lehrer) auch auf didaktische Schwierigkeiten zurückzuführen sein, über die gerade junge Lehrer klagen. Dieses Problem und das Faktum, daß Österreich bis heute keine eigene Zeitschrift für Zeitgeschichte besitzt, haben den Wiener Verleger Hannes Geyer und mich veranlaßt, das Experiment einer Zeitschrift zu machen, deren erstes Heft wir zur Zeit des 12. österreichischen Historikertages von 2. bis 4. Oktober 1973 in Bregenz der Öffentlichkeit vorlegen.

Der Inhalt des ersten Heftes enthält bereits jene Sparten, die nach Möglichkeit regelmäßig wie-

derkehren sollen: Aufsätze (Robert Hoffmann, Die britische Intervention bei der Ausreise Kaiser Karls aus Österreich im März 1919. — Wilhelm Holzhauer, Die Wiener Gemeindebauten der Ersten Republik), Zeitgeschichte im Unterricht (Heinz Strotzka, Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert als Aufgabe des Geschichtsunterrichts), Literaturberichte (Ernst Hanisch, Neuere Faschismustheorien).

Die Beiträge stammen von drei jungen Historikern und einem bekannten Architekten. Sie sind repräsentativ sowohl für die Autoren, die die Zeitschrift jedenfalls in ihrer ersten Phase tragen werden, als auch für die in ihr zur Diskussion gestellten Probleme. Die Zeitschrift „Zeitgeschichte“ orientiert sich an der französischen „hdstoire contemporaine“, d. h. sie wird in der Thematik ihrer Artikel einerseits bis zur Französischen Revolution zurückgehen, anderseits aber auch Fragestellungen der unmittelbaren Gegenwart behandeln, österreichische Zeitgeschichte und Didaktik werden ihren Inhalt vorrangig bestimmen, doch zeigt schon das erste Heft, daß wir bestrebt sein werden, immer wieder über die Grenzen Österreichs und auch Europas hinauszublik-ken. Wir werden uns daher auch bemühen, ausländische Autoren zu gewinnen. So sehr es die Zeitschrift bereichern wird, Beiträge bereits bekannter Autoren zu veröffentlichen, so soll sie doch auch stets jungen Wissenschaftlern zur Verfügung stehen, die ihre Publikationstätigkeit erst beginnen. Vor allem aber gehört zu unseren Zielsetzungen die wissenschaftliche Untersuchung von Fakten, Phänomenen und Strukturproblemen der Zeitgeschichte, nicht nur von politischen, sondern auch von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekten aus. Die Zeitschrift wird zehnmal (12 Nummern) im Jahr erscheinen. Sie richtet sich an alle Lehrer und Studenten der, Geschichte und darüber hinaus an alle jene, die an der Geschichte unserer Zeit interessiert sind.

Erika Weinzierl

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