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Geschichte — kleinkariert

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Wem ist es nicht schon. passiert, daß er — in einer alten Zeitung etwas nachlesend, ob von 1880, 1910 oder von 1945 — nicht an der Inseratenseite hängenblieb,' fasziniert, belustigt oder ergriffen von diesen Zeugnissen - des kleinen Lebens, des Alltags hinter den großen historischen Ereignissen, die freilich auch ihrerseits Schatten auf die Inseratenseiten werfen. Eür Kurt Kiess, den bekannten deutsehen. Publizisten und Buchautor, der seit längerer Zeit in der Schweiz lebt, wurde das folgende Inserat zum Auslöser: „Ehrliches Pferd gesucht zur Arbeit auf dem mustergültigen Hof eines riationalgesinnten Bauern (15 ha)!“ Er fand es in einer ländlichen Zeitung unmittelbar nach dem Ende des 1. Weltkrieges und es war durchaus ernst gemeint.

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Wem ist es nicht schon. passiert, daß er — in einer alten Zeitung etwas nachlesend, ob von 1880, 1910 oder von 1945 — nicht an der Inseratenseite hängenblieb,' fasziniert, belustigt oder ergriffen von diesen Zeugnissen - des kleinen Lebens, des Alltags hinter den großen historischen Ereignissen, die freilich auch ihrerseits Schatten auf die Inseratenseiten werfen. Eür Kurt Kiess, den bekannten deutsehen. Publizisten und Buchautor, der seit längerer Zeit in der Schweiz lebt, wurde das folgende Inserat zum Auslöser: „Ehrliches Pferd gesucht zur Arbeit auf dem mustergültigen Hof eines riationalgesinnten Bauern (15 ha)!“ Er fand es in einer ländlichen Zeitung unmittelbar nach dem Ende des 1. Weltkrieges und es war durchaus ernst gemeint.

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Seither hat der fleißige und findige Autor unzählige Jahrgänge alter und neuerer Zeitungen und Zeitschriften durchgeblättert und sich das Hübscheste, Interessanteste, Bezeichnendste herausgesucht. Hunderte von Inseraten sind in diesem Buch in ihrer Originalgestalt reproduziert, denn nicht nur auf den Wortlaut, den „Feingehalt“, kommt es an, sondern auch auf die „Wohlgestalt“, die Schrift, die Hervorhebungen, die gelegentlichen Illustrationen im Zeitstil und den Rahmen, das Drumherum.

Wie kam es überhaupt zu unserem heutigen Inserat, seit wann existiert es? Das älteste nach Kurt Riess' Meinung, war der etwa 1100 v. Chr. verfaßte Steckbrief nach einem entlaufenen Sklaven. Auch die Obrigkeit hat sehr früh ihre Aufforderungen, Appelle, Ermahnungen und Strafen affischiert. Dafür hat in der ersten Zeit nicht sie bezahlt, sondern sie ließ sich bezahlen, in der Annahme, daß solche Verlautbarungen die Auflage einer Zeitung steigern. Erst seit dem 19. Jahrhundert wurde das Inseratenwesen ein Geschäft. Sein Erfinder und für viele Jahre sein ungekrönter König war der aus dem Posenschen stammende Rudolf Mosse; erst in der fortschrittlichen Zeitschrift „Die Gartenlaube“ tätig, schließlich, ab 1. Jänner 1867, auch Leiter der von ihm begründeten „Annoncen-Expedition Rudolf Mosse“.

Im Inserat — und in dem Buch von Kurt Riess — ist ein echter Reflex der letzten Jahrhunderte eingefangen: ihr oft nur trügerischer Glanz, ihr Elend, ihre Vorurteile und Verbrechen. Aber alles eben kleinkariert und daher besonders deutlich, vor allem aber authentisch. Noch 1859 konnte ein Inserat erscheinen, in dem 400 Reis- und Baumwollneger zum Kauf angeboten wurden. In der Zeit vor dem 1. Weltkrieg spiegelt sich die Mentalität des saturierten Wohlstandsbürgers, bis hinauf zur Schnurrbartbinde „Es ist erreicht“. Kaum war der Krieg ausgebrochen, da bot sich mit einem „Aufruf“ ein Leutnant a. D. an, jene jungen Männer über sechzehn, die es partout nicht mehr erwarten konnten, einer militärischen Vorausbildung zu unterziehen, damit sie sich als Freiwillige melden können.

Der Kriegskitsch ist zu bekannt, als daß er hier besonders beschrieben werden müßte. Aber dann beherrschen bald andere Töne und Zeichen die Inseratenseiten. Lang vor 1933 wird das deutsche Volk ermahnt, nicht mehr in jüdischer Warenhäusern zu kaufen. Daran is natürlich besonders die arische Kon kurrenz interessiert. SA- und SS-Artikel haben Hochkonjunktur Kurz vorher rief, am 28. Novembe: 1918, der Rote Soldatenbund auf zi einer Versammlung der Urlaube] und Deserteure Berlins. Und wieder ein wenig später schreit uns ein rie-sieger schwarzer Stiefel an: „Denke und fühle deutsch!“

Und dann das nur zwölf Jahre dauernde Tausendjährige Reich! In diesem Kapitel erläutert Kurt Riess am Beispiel der Behandlung der Juden die Senkung, den Verfall der moralischen Maßstäbe, wobei von den obersten Stellen — das war das Teuflische daran — immer genau geschätzt wurde, wieviel Unrecht jeweils zumutbar war. — Daneben freilich gibt es auch Idyllisches: „Auf eine 40jährige Tätigkeit im Staatsdienst kann am Sonntag der Schlachter Herbert Schulze zurückblicken. Er ist im Allgemeinen Krankenhaus in Eilbeck tätig.“ Wohl diesem Ort! Oder wenn der SS-Obergruppenführer August Heissmeyer und die Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink mitteilen, daß sie am 6. Dezember 1940 heiraten werden, um ihren zehn Kindern eine gemeinsame Heimat zu geben. So einfach ist das. Man hätte eben weniger heiraten sollen, vielleicht hätte dann das deutsche Volk nicht so unbedingt neuen Lebensraum gebraucht — und bei dem Versuch zu seiner Gewinnung einige Millionen seiner Menschen verloren ...

Dies alles lehren uns Inserate: Wie Arbeitslose jeden Job annehmen wollen und wie heute große Konzerne flehentlich nach Führungskräften wimmern, denen Ministergehälter angeboten werden.

Dieses ganze Material hat Kurt Riess in zehn übersichtlichen Kapiteln angeordnet und mit ausführlichen Kommentaren versehen, die zugleich brillante Essays sind: über Geld und Geschäft, über die Gesundheit, über die Langeweile, über die Liebe — die nicht nur eine Himmelsmacht ist. Seine Fachkenntnis und Akribie übertreffen oft diejenige mancher Berufssoziologen und Finanzexperten.

Da eingangs von den ersten Zeitungen und Inseraten die Rede war, sei der Vollständigheit halber die letzte und kurzlebigste Druckschrift aus der Periode der 1000 Jahre genannt: Sie wurde von Dr. Goebbels persönlich redigiert, erschien nur einige Male im Frühjahr 1945, hieß „Der Panzerbär“ — und hatte keine Inserate...

Helmut A. Fiechtner

EHRLICHES PFERD GESUCHT. Geschichte des Inserats. Von Kurt RIESS, Hoffmann & Campe. 207 Seiten. Preis 365 Schilling.

Österreich und der christliche Osten

Ein nützliches Buch, dessen Ausarbeitung sicherlich viel Fleiß erfordert hat. Wer sich die Mühe gibt auch zwischen den Zeilen zu lesen und über das Gelesene zu sinnieren, wird jedenfalls reichlich belohnt werden — der ausgezeichnete bibliographische Apparat gibt ja stets die Möglichkeit, an den Quellen selbst Belehrung zu schöpfen und das eine oder andere bisweilen etwas voreilige Urteil zu überprüfen.

Österreicher im christlichen Osten: das sind in neuerer Zeit Missionäre, Ordensleute und Pilger, wobei auch auf das österreichische Hospiz in Jerusalem gebührend hingewiesen wird. Hier wäre allerdings wohl dem Titel des Buches, der ja ausdrücklich auf die Gegenwart hinweist, entsprechend Rechnung zu tragen, wo doch da über erfreuliche Versuche einer Reaktivierung einiges Erfreuliche zu berichten wäre. Weitere Kapitel erzählen von den Ostchristen in Österreich, und von byzantinischen Fürstinnen spannt sich der Bogen zu den Katholiken der Ostriten und den griechisch-orientalischen Christen Österreich-Ungarns, wobei ein Anhang dazu nützliche Statistiken bringt. In einem letzten Abschnitt, dem Dienst Österreichs gewidmet, das dieses dem christlichen Osten leistet, werden nach einer Einleitung über das österreichische Kultusprotektorat unsere diversen Aktionen dargestellt, wobei in einem eigenen Abschnitt, „Geistige Begegnung“ betitelt, auf die jüngsten Leistungen unter anderem vom Pro-Oriente hingewiesen und eine nützliche Ubersicht einschlägiger, neuester österreichischer Publikationen gegeben wird, mit einer aus-wahl von Texten im Anhang. Ein Zitat aus Kardinal Königs Schrift über Wien als Brücke zur Orthodoxie „Nicht Brückenkopf, sondern echte Brücke“ beschließt diese knappe, aber bedeutsame Darstellung, die beitragen wird zum Verständnis einer großen Historie, die uns mahnt, alte Freundschaften zu erneuern und sie verständnisvoll weiter zu pflegen.

ÖSTERREICH UND DER CHRISTLICHE OSTEN. Begegnungen in Gegenwart und Vergangenheit. Von Michael Lehmann. Veröffentlichung des kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät Wien. Wiener Dom-Verlag, 68 Seiten.

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