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Große Österreicher

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Vor 50 Jahren erschien der erste Band der von Anton Bettelheim gegründeten Neuen österreichischen Biographie. Jetzt liegt der 18. Band vor. Das Eigenartige dieser Reihe vorzüglicher Lebensbeschreibungen liegt darin, daß die Beiträge weit über den Umfang der Artikel eines biographischen Lexikons hinausgehen, aber den Raum nicht überschreiten, der ausreicht, Persönlichkeit und Lebenswerk des Dargestellten voll zu erfassen. Bettelheim, dessen große Beaumarchais-Biographie selbst von keinem Franzosen übertroffen wurde, wußte für die österreichischen Größen das richtige Maß zu geben. Die halbhundertjährig Tradition wird von dem Herausgeber Dr. Kurt Skalnik und dem Leiter des Unternehmens Herbert Fleissner streng gewahrt. Ihnen ist für die nach einem einheitlichen Gesichtspunkt getroffene Wahl der zu ehrenden Männer und für die sorgfältige Wahl der Autoren der Biographien zu danken. Der eine oder andere der Autoren wird — hoffentlich erst nach vielen Jahren, denn Lebende werden nicht aufgenommen — die Rolle des Biographen mit der eines in der Biographie zu feiernden österrei-reichers vertauschen.

Band X bis XIV tragen den Haupttitel „Große Österreicher“, der seither nur mehr den Untertitel bildet Der Schutzumschlag aber zeigt noch immer die rotweißrote Fahne und die Aufschrift „Heimat bist du großer Söhne“. Von den im vorliegenden Band aufgenommenen Männern wurden mehr als ein Drittel nicht in der rotweißroten Republik geboren. Alfred Wegener war Berliner und wurde erst in seinen letzten Jahren, als er die Professur in Graz annahm, wie üblich Österreicher. Der Erbauer des Wiener Rathauses war Württemberger. Das Soldatenkind Theodor Körner kam in Ungarn zur Welt, besuchte die Realschule in Reichenberg und die Militäroberrealschule in Mährisch-Weißkirchen und war, ehe er unsere Republik zu seiner Heimat erkor, in der die Monarchie umspannenden Heimatgemeinde der k. u. k.Armee zuständig. Selbstverständlich gehören diese Männer, deren Wiege in heute fremden Ländern stand, in die österreichische Biographie, denn diese umfaßt die Geister, welche ohne Rücksicht auf ihren Geburtsort im weiten Raum der untergegangenen Völkergemeinschaft der Monarchie wirkten. Dies zeigt schon die Rückseite des Schutzumschlages, welche den Inhalt der einzelnen Bände verzeichnet. Das alphabetische Namensverzeichnis am Ende des Bandes verdient wegen seiner Nützlichkeit besondere Aufmerksamkeit.

Auf besonderen Dank hat die neue Faksimile-Ausgabe der längst vergriffenen ersten acht Bände Anspruch. Aus dem Gesamtwerk könnte ein Geschichtsfreund, ein Literaturoder Kunstbeflissener ein Stück Ge-sellschaftsgeschichte schöpfen und beweisen, wie Besitz und Bildung eine Elite des Geisteslebens hervorbrachten, zeigen, aus welchen Kreisen die gefeierten Männer hervorgingen, wieweit Familie und die alte humanistische Schule zu ihrer Entwicklung beitrugen, welches geistige und materielle Rückgrat die Entfaltung der Persönlichkeit ermöglichte. Welche Männer werden nach 50 Jahren als große Österreicher gefeiert werden? Wie wird die Elite der zu erwartenden besitzlosen und geistig gleichgemachten, internationalen und modernen Ameisenhaufenwelt aussehen?

Aus den 19 Beiträgen einige hervorzuheben, wäre ein Unrecht gegenüber den anderen. Denn sie alle sind vollendet feine Miniaturen, aus denen man einen Hauch des Geistes der Porträtierten verspürt. Möge es noch eine Zeit lang große Österreicher geben und nicht eine so lange Pause kommen wie zwischen Plutarch und der erst im Humanismus wieder auflebenden Biographie.

NEUE ÖSTERREICHISCHE BIOGRAPHIE AB 1815. Band XVIII. 19 Beiträge mit Porträts. Amalthea-Verlag, Wien-München, 1972.

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