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LEICHTE BRISE

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Über dem Kanal stand die Dunkelheit wie eine Wand. Wenn er Schmidt geheißen hätte, wäre das schon viel gewesen; er hieß aber nicht einmal so — gleichwohl, es fragte ihn niemand nach seinem Namen, so mag's noch hingehen.

Der kleine Dampfer hartite sanfte Schlagseite, wie's schon so kommt, Wind ist stets unvermeidbar; mit einer milden Brise zumindest müssen wir uns ja doch abfinden; man erzählt sich, daß es auf dem Meer manchmal sogar Stürme geben soll; er war ohnedies gut dran, also.

Er spürte die Brise nicht und sie spürte die Brise ničht; es waren die Fenster zu, und wären sie auch offen gewesen, was soll's, beide hatten bereits vergröberte Poren, das ergibt sich, vergröberte Haut, dazu kommt's, wenn man zu viel Whisky trinkt; wohlfeil, kein Zoll, keine Steuer liegt auf den Flaschen der Fähre, man nützt das aus.

Beide nützten es aus; es war das ihre erste Gemeinsamkeit und billig genug, denn der wohlfeile Schnaps — Zigaretten sind ebenfalls billig zwischen Hoek van Holland und Harwich, aber das gehört nicht in eine Geschichte, die von Nichtrauchern handelt — denn der wohlfeile Schnaps hatte es noch manch anderen angetan in dieser Nacht; die anderen nützten jedoch gewissermaßen als Einzelpersonen aus, waren sich auch zueinandergeneigt in mancherlei Gespräch, auf Gespräche läuft's bei diesen Leuten stets hinaus, und oft blieben sie sogar sehr lange und starrsinnig Äug' in Auge — alles das konnte die zwei — Schmidt hieß er nicht, wir dürfen's nicht vergessen, ganz und gar nicht täuschen.

Er erhob sich, um nach dem Wetter zu sehen, wie er rundheraus sagte, aber die Fläche des Bodens mußte er milde emporlaufen, so schwach die Brise war, so sanft die Schlagseite; ohne Schlagseite geht's eben nicht ab, er sah's nicht, er spürte es nur, daß es bergan ging, sie, die saß, spürte es noch nicht, sie sah's bloß an ihm; als sie lachte, wandte er sich um und hatte eine derart gewandte Art, ihr den Arm zu bieten, daß sie den fehlenden Anlaß wirklich vergessen ließ; so war die Bekanntschaft gemacht, und sie mußte nun ebenfalls aufstehen und bergauflaufen — da verstand sie ihn erst.

Es blieb ihnen wirklich nichts anderes übrig, als gemeinsam aufs Oberdeck zu gehen.

Über dem Kanal stand die Dunkelheit wie eine kalte Wand — vier Augen sehen mehr als zwei.

Sie kehrten an die Bar zurück; so zerstörten sie wortlos alle hämischen Vermutungen, die schließlich möglich gewesen wären — sie tranken jetzt gemeinsam und ließen sozusagen keinen Zweifel mehr aufkommen. Die Einzelpersonen blieben bedauernswerte Einzelpersonen und konnten's diesmal — wenn jemals! — nicht loswerden, mochte sie gleichwohl jemand in Harwich erwarten.

Ein geringer Trost, wenigstens fürs Nachher, gewiß. Allein, so möglich solche Konjekturen sind, so gering wär' eine darauf gegründete Hoffnung: es ist ja nichts zu beweisen. Die Verhältnisse der anderen Ausnützer sind gänzlich unbekannt geblieben.

(Copyright by Nymphenburger Verlagsbandlung)

Der Ordinarius für neuere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Graz, o. Univ.-Prof. Dr. Robert Mühlher, ist gebürtiger Wiener (22. Februar 1910) und hat durch seine Lehrer, die Germanisten Otto Rommel und Josef Nadler, bestimmende Eindrücke für seine Berufswahl und Lebensarbeit empfangen, ohne aber weltanschauliche oder wissenschaftliche Tendenzen beider unmittelbar fortzusetzen. 1933 zum Doktor phil. promoviert, trat er 1938 in die Nationalbibliothek ein, der er bis 1954 angehörte. Hier wurde er 1949 mit der Gesamtleitung der Goethe-Ausstellung betraut, deren Katalog ein bleibendes Dokument ist. Mit dem im Wiener Herold-Verlag 1951 erschienenen Buch. „Dichtung der Krise“ habilitierte sich Mühlher an der Wiener Philosophischen Fakultät und war 1952 bis 1954 Privatdozent. 1954 wurde er auf die Lehrkanzel seines Faches nach Graz berufen, die vor ihm Erich Schmidt, August Sauer, R. M. Werner, Bernhard Seuffert, Karl Polheim und Hugo v. Kleinmayer inne hatten.

An dieser Lehrkanzel hat Prof. Mühlher bisher zirka 60 Dissertationen betreut. Die Anzahl seiner Hörer ist gegenüber 1954 ungefähr auf das Sechsfache gestiegen. Die Festschrift, die Prof. Mühlher (gemeinsam mit seinem Kollegen Johann Fischl) seinem Fakultätskollegen F. Weinhandl gewidmet hat (Berlin, Duncker & Humblot, 1967, 569 S.), darf als Zeugnis für die Verbundenheit mit. der Gramer Fakultät gelten. Seit 1960 gibt Prof. Mühlher die Vereinspublikation des Wiener Goethe-Vereins heraus, die er gegenüber der früheren „Chronik" zu einem „Jahrbuch des Wiener Goethe- Vereins" umgestaltet hat, von dem bis heute acht Bände vorliegen. An weiteren organisatorischen Leistungen sei auf die Leitung der jährlichen Literarhistorikertagungen des Instituts für Österreichkunde hingewiesen, die er wegen Überlastung 1968 abgegeben hat. Seiner Anregung zufolge wurde durch das Bundesministerium für Unterricht eine „For- schungs- und Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur“ eingerichtet, die dem Gedanken dient, das gesamte Dokumentenmaterial zu sammeln, das der Erforschung des literarischen Lebens in Österreich seit der Jahrhundertwende dienen kann.

Ein Teil von Mühlhers wissenschaftlicher Arbeit hat die Erforschung der österreichischen Literatur zum Thema. Das wichtigste Ergebnis dieser Richtung seiner Tätigkeit wird der im Herbst 1968 erscheinende zweite Band der Anthologie „Dichtung aus Österreich" sein (Wien, Bundes-Verlag, zirka 1400 S.), in deren Einleitung (zirka 100 S.), Mühlher einen Teil seiner Forschungen vorlegen wird. Ein Band mit zahlreichen Aufsätzen zur österreichischen Literatur befindet sich in Planung.

Eine andere Richtung dieser Forschungsarbeit hat E. T. A. Hoffmann und dessen geistesgeschichtliche und poetologische Analyse zum Gegenstand. Eine große umfassende Monographie über diesen Dichter ist gegenwärtig im Stadium des Abschlusses. Eine größere Zahl von weiter ausholenden Aufsätzen über Einzelprobleme bei Hoffmann sowie der Band „Nachtstücke“ (Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft, 1963) geben einen vorläufigen Einblick in diese Bestrebungen. Die Wahl Hoffmanns zum Thema ausgebreiteter Forschungen und Studien mag mit den musikalischen Interessen Mühlhers Zusammenhängen, die ihn auch befähigen, an der Grazer Akademie für Musik und darstellende Kunst als Gastprofessor zu wirken. Eine Studie über Hofmannsthals „Ariadne auf Naxos“ im jüngsten Arbeitsbericht der Abteilung für darstellende Kunst dieser Akademie gewährt einen Einblick in diesen Teil von Mühlhers Arbeit. Eine Zusammenstellung der von Prof. Mühlher veröffentlichten Schriften enthält die Zeitschrift „Österreich in Geschichte und Literatur“ (VII. Jahrgang, 1963) und die Bibliographie „Grazer Universitätsprofessoren publizieren“ (Graz 1966, S. 121 bis 125).

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