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Eidgenössische Quadratur

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Außenpolitik als aktives Politikum ist für die Schweiz eigentlich eher die Ausnahme. In der Zwischenkriegszeit gab es unter dem außerordentlich initiativen Außenminister Giuseppe Motta wesentliche Ansätze dazu, als das Verhältnis der Schweiz zum Völkerbund zur Diskussion stand. Nach dem zweiten Weltkrieg war es dann vor allem Außenminister Willy Spühler, der diesen politischen Bereich aktivierte, indem er erstmals so etwas wie eine „schweizerische Ostpolitik“ ins Leben rief. Darüber hinaus aber trat Außenpolitik wohl oder übel auf dem Umweg über die Wirtschaft und Brüssel ins schweizerische Bewußtsein, das — wie die Erfahrung lehrt — allerdings noch einige Mühe hat, sich damit zurechtzufinden.

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Außenpolitik als aktives Politikum ist für die Schweiz eigentlich eher die Ausnahme. In der Zwischenkriegszeit gab es unter dem außerordentlich initiativen Außenminister Giuseppe Motta wesentliche Ansätze dazu, als das Verhältnis der Schweiz zum Völkerbund zur Diskussion stand. Nach dem zweiten Weltkrieg war es dann vor allem Außenminister Willy Spühler, der diesen politischen Bereich aktivierte, indem er erstmals so etwas wie eine „schweizerische Ostpolitik“ ins Leben rief. Darüber hinaus aber trat Außenpolitik wohl oder übel auf dem Umweg über die Wirtschaft und Brüssel ins schweizerische Bewußtsein, das — wie die Erfahrung lehrt — allerdings noch einige Mühe hat, sich damit zurechtzufinden.

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Da ist es zunächst einmal die Ostpolitik, die Schwierigkeiten hat, ihren Kurs zu finden. Bundesrat Spühler war Ende der sechziger Jahre als erster Regierungsvertreter in einen kommunistisch regierten Oststaat gereist. Er hatte sich Rumänien ausgesucht und während seines Bukarester Aufenthaltes dokumentiert, was er unter Ostpolitik versteht. Er weigerte sich nämlich, vor dem Grab Gheorghiu-Dej s einen Kotau zu machen. Zwar hatte Gheorghiu-Dej die Widerstandsbewegung organisiert, aber er war nachher als kommunistischer Machthaber äußerst brutal mit den überzeugten Sozialdemokraten, also den Gesinnungsgenossen Spühlers, umgegangen. Nixon und de Gaulle hatten anläßlich der Kranzniederlegung am Grab des unbekannten Soldaten im Freiheitspark von Bukarest sich vor Gheorghiu-Dej tief verneigt. Spühler ging zum Entsetzen des Protokolls aufrecht und erhobenen Hauptes daran vorbei.

Inzwischen sind die schweizerischen Beziehungen zu den europäischen Oststaaten einigermaßen normalisiert und die offizielle Linie folgt mehr oder weniger Spühlers Vorbild. Nun aber bemüht man sich, die Fühler nach China auszustrek-ken, und darin scheint man weniger Geschick zu beweisen.

Geschäftsüberlegungen spielen auch in anderen Himmelsrichtungen in die schweizerische Außenpolitik hinein. Zunächst in die Frage der Anerkennung Ostdeutschlands durch die Schweiz. Es geht dabei nicht mehr um staatspolitische oder ethische Probleme, nicht mehr darum, ob die nationale Einheit des deutschen Volkes bedroht oder gar bereits zerschlagen sei, sondern vielmehr um das Bemühen, die DDR-Geschäfte sich nicht entgehen zu lassen und dadurch doch die BRD-Geschäfte nicht zu beeinträchtigen. Die Quadratur des politischen Zirkels wurde im Austausch einer Handelsdelegation gefunden, wobei diese Erfindung nicht besondere schweizerische Erfindungsgabe bewies. Daß die handelspolitische Anerkennung über kurz oder lang auch zur politischen Anerkennung führen wird, daran zweifelt niemand, aber jedermann ist offenbar von der Notwendigkeit, solche Wahrheiten in kleinen Dosen zu verabreichen, überzeugt.

Noch deutlicher prädominierte das Geschäft Richtung Westen. Jene Leute, die für das Konzept der schweizerischen Landesverteidigung verantwortlich zeichnen, sind überzeugt, daß die Armee neue Kampfflugzeuge braucht. Wie immer in diesen Belangen: man rührt mit der großen Kelle und spricht von 3 Milliarden Schweizer Franken, die dafür aufgewendet werden sollten oder dürften. An wen aber soll dieser Riesenauftrag vergeben werden? Selbstverständlich wird die Auswahl nur nach militärisch-technischen Überlegungen getroffen, versicherte man energisch, aber man vermochte damit die Nebengeräusche, die vor allem aus den USA und aus Frankreich zu vernehmen waren, nicht ganz zu übertönen. Nachdem die schwedischen und englischen Offerte in den Hintergrund gedrückt worden waren, spielte sich ein amerikanischfranzösischer Luftkampf über schweizerischem Territorium ab. Und dann trat der französische Flugzeug-Industrielle Dassault mit einem sehr undiplomatischen Interview an die Öffentlichkeit: er warf der Schweizer Regierung vor, bei der Evalvation des französischen „Milan“ gegen den amerikanischen „Corsair“ benachteiligt zu haben. Zwar wies Bern diese Vorwürfe energisch zurück, doch kam es kurz darauf zu einem Eklat besonderer Art, als der schweizerische Rüstungschef Heiners Schulthess zurücktrat. Er beschwerte sich darüber, von seinen Vorgesetzten nicht überzeugend genug in Schutz genommen worden zu sein, was wiederum von Bern bestritten wird. Aber eben: Schulthess ist ein überzeugter Amerika-Schweizer, mit der amerikanischen Flugzeugindustrie persönlich eng verbunden, und Frankreich bezweifelte die Objektivität dieses schweizerischen Rüstungschefs, dessen Jahresgehalt übrigens dasjenige eines Bundesrates, also eines amtierenden Mini-ters übersteigt. Schulthess ging und schürte damit auch in der Öffentlichkeit einige Zweifel.

Außenpolitische Verquickungen liegen in der Frage der Flugzeugbeschaffungen jedoch anderswo. Es ist nämlich kein Geheimnis, daß die rein politisch und wirtschaftspolitisch denkenden schweizerischen Prominenten dem französischen „Milan“ den Vorzug gaben, weil Paris sich während der Brüsseler Verhandlungen sehr entgegenkommend gezeigt hat. Die „Corsair“-Fans aber behaupten, das französische Entgegenkommen sei nicht ehrlich gewesen und habe letztlich einzig auf das Flugzeuggeschäft abgezielt.

Und das Brüsseler Ubereinkommen spielt noch in einer anderen Weise in die öffentliche Auseinandersetzung hinein. Nationalrat James Schwarzenbach, dessen „Anti-Überfremdungs-Initiative“ weltweit bekannt wurde, behauptete, die schweizerische Delegation habe in Brüssel noch Geheimklauseln unterzeichnet. Was den deutschen Konservativen im Zusammenhang mit den Ostverträgen recht war, mußte Schwarzenbach billig erscheinen.

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