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Ein Arbeiter im Weinberg

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Es gibt genügend Beispiele für den „Ein-Werk-Schöpfer”: Einmal und nie mehr wieder ist es ihm gelungen, die Strahlkraft seines Lebens einzufangen. In der Literatur mögen allerdings die Qualitätsunterschiede zwischen den erfolgreichen und den vergessenen Werken eines Autors nicht so groß sein wie bei Mascagni oder Leoncavallo. Und doch bleibt Cervantes der Dichter des Don Quichotte, schafft Ramon Ji-menez nur im „Esel und ich” eine

Volksdichtung, erreicht Imre Madäch die Weltbühne mit einem einzigen Drama, mit der „Tragödie des Menschen.”

Obwohl Alfons Petzold vieles geschrieben hat, gehört auch er in die keineswegs mindere Gesellschaft derer, die mit einigen Gedichten und einem einzigen autobiographischen Buch überdauern. Einen solchen „Ein-Werk-Schöpfer” unbedingt auf das Volumen von mehrbändigen gesammelten Werken zu expandieren, könnte allerdings zu einer schädlichen Verdünnung führen.

Von einer 49jährigen Mutter geboren, an Rachitis erkrankt, durch familiäres Mißgeschick und soziale Ungerechtigkeit immer wieder — und nicht nur als Bäckerlehrling beim Semmelaustragen — unter die Räder geraten, bleibt Petzold in seinem „Rauhen Leben” ohne die Roheit der Aggression. Nirgends droht die Ein-dimensionalität des ausgestreckten Zeigefingers: „Ich klage an”. Statt dessen zeigt sich die Fähigkeit zur universalen Identifikation, welche so viel an Lebenskraft in Freiheit setzt, daß auch noch im äußersten — für unsere heutigen Wiener Verhältnisse unfaßbaren - Elend ein Funke von Enthusiasmus weiterglimmt. Wofür? Für diese Schöpfung, zu der er sich „Trotz alledem” (dies der Titel eines 1914 erschienenen Gedichtbandes) bekennt.

Durch ein solches Tor der Weltoffenheit führt ihn der Weg vom religiösen Gefühl zu religiösen Uberzeugungen. Auch dies eine rauhe Kamm Wanderung über Antisemitismus und Antireligiosität, denn Petzold hatte — wie er selber meint — das Zeug zu einem großen Radaumacher jn sich. Wir erleben mit ihm, wie er zwischen dem stillen Winkel Ludwig Richters und dem Versammlungssaal schwankt, der ihm ein neues Gemeinschaftsbewußtsein verheißt.

Ist nun Alfons Petzold wirklich der „Arbeiterdichter”, als den ihn mit erstaunlicher Einmütigkeit die Literatur- und Parteigeschichte etikettiert?

Was seine Herkunft anlangt, zeigt uns die wirtschaftliche Mobilität seines Vaters das 19. Jahrhundert als die Zeit der unbegrenzten Möglichkeit des Individuums. Er ist Tapezierer, Käsehändler in Zürich und München, Rittergutbesitzer in Kuttenberg in Böhmen, Leib- und Hoftapezierer König Milans I. in Serbien, Revolutionär in Leipzig, Häftling auf dem Königstein in Sachsen, Chemikalienhändler in Szeged, Handlungsreisender auf dem Balkan. All das in eine Lebenszeit unterzubringen, ist zweifellos nur im Zeitstil des Liberalismus möglich.

Bereits in der Namenswahl für den einzigen Sohn „Alfons” zeigt sich die Grandezza des Vaters, dessen Abenteurernatur sich im Sohn nach innen schlug, war ihm ja nicht die heroische Statur des Vaters, sondern ein kränkelnder, tuberkulöser Körper beschieden. Am Bau und in den Betrieben ob seiner Leistungsunfähigkeit verhöhnt, sagt er selber: „Vor dem indifferenten Proletariat gilt der gute Wille nichts. Ihm imponiert nur körperliche Kraft, Geschicklichkeit, das Können des Leibes. Bei ihm herrscht noch beinahe unbewußt das Gesetz der Auslese, das dem stärkeren Tier das Recht gibt, das schwächlichere bis zur Vernichtung zu bekämpfen.”

Mit solchen Äußerungen (1920) geraten wir in die Nähe von Ernst Jünger (1932). Freilich mit umgekehrten Vorzeichen, da Jünger in der Gestalt seines „Arbeiters” just diese Züge bejaht, verbürgen sie ihm doch die Einheit von Kampf- und Arbeitsfront, von Soldat und Arbeiter. Eine solche heraldische Maske kultischen Ranges — die Erfindung von Intellektuellen, die selber weder einen Lebenstag manuell gearbeitet, noch unter Arbeitern gehaust haben — ist für Alfons Petzold, den Menschen, der viele Jahre bis zum Blutsturz geschuftet, mit und an Arbeitern gelitten hat, unannehmbar, möge diese Jüngersche Kultmaske auch heute tatsächlich in vielen Staaten das prägende Idol abgeben.

Petzold bläst nicht ins Nebelhorn der Mythologie und deren intellektueller Variante: der Ideologie. Obwohl selber kein Mensch der praktischen Tat, besitzt er eine Nahbeziehung zur Arbeiterschaft, eine Tiefe des Mitempfindens, wie sie vielleicht nur noch der Ärbeiterpriester Henri Perrin erreicht hat.

Was wir heute deutlich sehen, nämlich daß die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen von der Ausbeutung der Natur durch den Menschen abgelöst worden ist, ohne daß sich durch diesen „Fortschritt” im Menschen selber etwas geändert, sein Blick für den neuen Proleten, die Erde, geschärft hätte, all das gibt dem Schriftsteller Alfons Petzold eine aktuelle Bedeutung, denn er ist ein Arbeiter im Weinberg, dort also, wo es an Arbeitern fehlt.

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