6642972-1958_06_11.jpg
Digital In Arbeit

Das ruhelose Herz

Werbung
Werbung
Werbung

Wir haben vor wenigen Monaten seines 75. Geburtstages und vor kurzem, am 26. Jänner, seines 35. Todestages gedacht: Alfons Petzolds, der großen Verlegenheit unserer Literaturgeschichte, die ihn nicht zu kartieren vermag — ob er zur Prosa oder zur1 Lyrik, zur Revolution oder zur Mystik, zum Realismus oder zur Romantik, zum glühenden deutschösterreichischen Kriegspatriotismus oder zum internationalen Pazifismus zu zählen sei. Er ist daran unschuldig, denn er hat sich zeitlebens ohne eigentliche Widersprüche, schlicht und natürlich als lebende, leidende und schöpferische Kreatur, freilich nicht ohne Entwicklungen und Wandlungen, gegeben. Als er schließlich „wie von selbst“ (ganz so ist es nicht gewesen) aus proletarischer Umwelt in eine Welt bürgerlicher Sicherungen, aus Kanipf und Not in Achtung und Anerkennung geglitten war, empfand er selbst den schmerzlich frühen Tod kaum als „Widerspruch“, als Widersinn, sondern mag sich mit Goethes Weisheit abgefunden haben: Ich bin ein Mensch gewesen, und das heißt ein Kämpfer sein; oder mit sein'er eigenen Melodie: „Weiß ich doch zur Zeit: Alle, alle Winde weh'n hin zur Ewigkeit.“

„Das Alfons-Petzold-Buch“ von Karl Z i a k (Büchergilde Gutenberg, Wien, 304 Seiten), zu guter Stunde erscheinend, füllt eine Lücke aus. Wir haben zwar sachkundige Lyrikauslesen von Petzold (zuletzt Felix Brauns Auswahl, „Die hundert schönsten Gedichte“, 1952), wir haben eine Neuauflage des Prosahauptwerks „Das rauhe Leben“, aber es wäre jammerschade gewesen, wenn auch die „kleine Prosa“ weiterhin in kaum mehr in Antiquariaten greifbaren einstigen Sonderausgaben verstreut geblieben wäre; die „Drei Tage“ etwa, die in ihrer unmittelbaren Erlebnisleuchtkraft alle formalen Hemmungen abstreifen und Hamsuns klassischem „Hunger“ nahekommen, „Der Franzi“, die erschütternd konsequente Geschichte einer trostlos beginnenden, trostlos abrollenden und trostlos endenden Proletarierjugend, oder die ans Herz rührende Geschichte vom armen, kleinen „Kesselflicker“, bei der man immer wieder an das „Mädchen mit dem Schwefelhölzchen“ denken muß.

In den manchmal breit strömenden, manchmal wieder wild dahinschießenden Fluß der • Prosa hat K. Ziak mit liebevoller Hand immer wieder Inseln einer Welt, Gemeinschaft und Individuum umarmenden Lyrik eingebaut, ein fachgerechtes und mitfühlendes Nachwort angefügt und den wertvollen Band mit einer sauberen Bibliographie beschlossen.

Die Zeichnungen von Myrbach, Mangold und Czemerin atmen, süß und bedrückend zugleich, die zweischichtige Luft jenes zweigesichtigen Wiens dieses Jahrhunderts, in dessen Glanz und Düsternis Alfons Petzold lebte, litt und, wie der Jüngling im Feuerofen, sang. Ruhe fand dieses ruhelose Herz erst

in Kitzbühel — in einem sonnigen bürgerlichen Heim mit Frau und Kindern; und im stillen Grab des Bergfriedhofes.

*

Ein kühner thematischer Boden spannt sich über Albert Mitringers Triptychon „Sommerspiel“ (Amandus-Verlag, Wien 1957, 132 Seiten), vom Salzburger Scherzo „Sommerspiel“ mit seinem fast rokokoverspielten Liebesgetändel über das nachdenkliche Andante einer Jugendgeschichte aus der Waffenstadt Steyr des ersten Weltkrieges bis zu dem unheimlichen Presto einer Dorftragödie, in der, wie von den Blitzen eines einzigen Gewitters getroffen, erjst die drei Kinder, dann die Alten .einer Bauern-fa'milie fällen, hart,?nadtfllös: „Auch, im Frieden, lauert das Los noch.“ Eine erstaunliche Beherrschung der Sprache läßt den Autor die so verschiedenen Vorwürfe und Stile souverän meistern und in vollen Akkorden und noch mehr in kaum hörbaren Zwischentönen eine österreichische Melodie erklingen.

*

Werner Bergengruens Roman „Der Großtyrann und das Gericht“ (Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, 320 Seiten, Preis 6.80 DM) erschien erstmals 193 5; aber er ist mehr als ein (unerkannter) Schlüsselroman. Die Gespräche über Macht und Recht der Mächtigen und die ergreifende Demonstration der Leichtverführbarkeit der Ohnmächtigen an einem virtuos geschürzten und völlig überraschend gelösten politischen Kriminalfall reichen in tiefste Bereiche zeitloser Menschlichkeit. Der große Atem des Werkes rührt uns Heutige nicht minder als die damals Bedrängten an.

Weltliches Requiem für Colette: Der Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien, legt gleichzeitig mit einer späten ersten deutschen Uebersetzung ihrer vier Romanteile „C 1 a u d i n e“ auch ihres letzten Gatten, Maurice Goudeket, kluges, warmes und aufschlußreiches Erinnerungsbuch „C o 1 e 11 e“ auf. d0as erstere stand am Anfang ihres Weltruhmes (1900 bis 1903, gemeinsam mit dem ersten Gatten Willy Gauthier-Villars), das letztere, eine durchaus eigenständige literarische Leistung, endet mit ihrem Tod:

„Colette scUlief. Es war sehr schwül, der Himmel hing niedrig, das Patais Royal war verödet. Colettes Atem wurde rauher, und Pauline und ich wechselten einen Blick. Das dauerte ungefähr eine Viertelstunde. Wir standen reglos. Plötzlich wurde es still, und Colettes Kopf sank langsam mit einer unsäglich anmutigen Bewegung zur Seite.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung