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Der Arbeiterdichter Alfons Petzold

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Unsere besondere Achtung verdienen jene Dichter, die aus den dunklen Tiefen des Volkes emporstiegen zur Lichthöhe schöpferischer Gestaltung, denn sie vermögen unseren Glauben an den Sieg des Geistes über die Zufälligkeiten des Materiellen zu stärken. Je tiefer die körperliche und seelische Not im persönlichen Leben des Künstlers ist und je stärker und reiner die geistige Überwindung im dichterischen Werk gelang, um so höher steigt auch unsere Bewunderung der Leistung.

Ganz freilich wird uns Leben und Werk dieser „Arbeiterdichter“ nur aus der Geschichte und Umwelt des modernen Industrieproletariats heraus verständlich. Zwar stimmt die bürgerliche Literatur des 19. Jahrhunderts sozusagen die Instrumente: zuerst Journalisten der beiden Revolutionsjahre, dann der französische Realismus um Zola und schließlich die Naturalisten der neun ziger Jahre; und die sozialen Töne von Chamisso und G. Hauptmann, Dehmel und Henkell klingen bisweilen nachhaltiger nach als die Anklagelyrik der modernen Revolutionäre. Aber im 20. Jahrhundert ist schließlich die Emanzipation des vierten Standes soweit gediehen, daß nunmehr die Arbeiter selbst in ganz Europa das Wort ergreifen. Das einzige Genie unter ihnen erlosch frühzeitig. Gerrit Engelke fiel, 26jährig, an der Westfront des ersten Weltkrieges. Auch der Österreicher Alfons Petzold ist nur 40 Jahre alt geworden, doch ist sein Werk zu großer Reife gediehen. Von der älteren deutschen Generation — Bartl, Bröger, Lersch — scheiden ihn typisch österreichische Züge. So wie sein äußeres Leben immer wieder Verbindung zum „dritten Stand“ hält, dem er t entstammt, wächst auch sein Werk aus zorniger Anklage („Trotz alledem!“) zu Wehweite und verstehender Güte („Das Lächeln Gottes“). Der Weg dahin ist kein bequemer und gerader. Es ist ein Umweg innerer Kämpfe und Entwicklungen, dessen Stationen schon rein äußerlich sichtbar sind: 1901 tritt Petzold, aus der sozialen Unruhe der Jugendjahre in die geräuschvolle Los- von-Rom-Bewegung geschleudert, zur protestantischen Kirche über, 1911 findet er wieder zur katholischen Kirche zurück.

Alfons Petzolds Vorfahren stammen aus Mitteldeutschland. Die Großeltern waren noch wohlhabende Bürger, das Schicksal der Eltern spiegelt schon deutlich die Tragik des durch die aufkommende Industrie hart bedrängten verarmenden Handwerkerstandes wieder. Wenige Monate nach Ankunft der Eltern in Wien wurde hier am 24. Septem- er 1882 Alfons geboren, der zunächst die übliche Volksscbuibildung genoß und sich seit seinem 14. Lebensjahr in verschiedenen Lehrstellen versuchte. Bald aber war der Vater jahrelangem Siechtum erlegen, und so mußte der Sohn zur Unterstützung der ebenfalls kränklichen Mutter als ungelernter Hilfsarbeiter jede sich nur bietende Gelegenheit zu einem Verdienst nützen. Als aber dem Neunzehnjährigen auch die Mutter starb, da stieß ihn das Schicksal erbarmungslos in den äußersten Abgrund proletarischen Großstadtelends, in „das rauhe Leben“, wie er seine Autobiographie nennt, ein Werk, das bei allen Nachteilen rückblickcnder Selbstbeschreibung (Erinnerungslücken und Umdeutungen) doch von starker Unmittelbarkeit ist und Züge von Hamsuns „Hunger“ trägt. Hungernd, zeitweise obdachlos und von öfteren Blutstürzen geplagt, schien ihn nur die Kraft seiner bäuerlichen Abkunft vor einem endgültigen Zusammenbruch bewahrt zu haben. Unserer Zeit aber, die in der wirtschaftlichen Not zu sehr die alleinige Ursache der gesunkenen Nachkriegsmoral erblicken will, .erscheint Alfons Petzold liebenswert, weil er auch im Sumpf des Elends seine aufnahmebereite Seele, sein reines Herz bewahrte. Sicherlich waren seine ersten Gedichte zornerfüllte Anklagen der Gesellschaftsordnung, die brutal alles Schwache zertrat. Nach christlichsozialen Anfängen und einem kurzen deutschnationalen

Zwischenspiel fand Petzold aus seiner Vereinsamung zur Sozialdemokratie. Seine persönliche Rettung aber wurde ihm aus mittelständischen Kreisen zuteil, wie ,es auch die mittelständische Presse war, die sich zuerst seiner Gedichte annahm und für deren Verständnis warb. Gönner ermöglichten ihm einen Aufenthalt in der Lungenheilstätte Alland, wo er seine erste Gattin kennenlernte und ehelichte. Die Liebe zu Johanna löste die verkrampften Anklagen seiner ersten Gedichte zu einem Hymnus auf die Liebe und die Güte. Petzold entdeckte Franz von Assisi, den Heiligen der Armen, und er pries nun den Grundsatz: „Sudie in jedem noch so armen Ding die Schönheit, die Liebe und die Güte."

Nach kaum vierjähriger Ehe verwitwet, ließ ihn das Sdiicksal nicht mehr fallen. In seiner zweiten Ehe mit Hedwig Gamillseheg, die ihm nadieinander zwei Töchter und einen Sohn schenkte, verlebte er in Kitzbühel noch einige glückliche Jahre. Aber seine Tage waren gezählt; noch nicht

41 fahrig, starb Alfons Petzold am 26. Jänner 1923 und wurde am nächsten Tage auf dem Kitzbüheler Friedhof bestattet.

In der kurzen Spanne seines Lebens schuf der Unermüdliche, dem der Tod unentwegt über die Schulter sah, über 40 Bücher: Gedichte, Novellen und Romane. Seine Werke sind verschieden wertig; es genügt das Bleibende, um ihm einen hervorragenden Platz unter den modernen österreichischen Dichtern zu sichern.

Petzolds jugendliche Züge sind unbekannt. Unvergeßlich aber nennt Carl Brockhausen,

mit den seltsamen, durchgeistigten Zügen und den stahlblauen, blitzenden Augen mit dem Ausdruck der Klugheit, der Güte und der oft kindlichen Heiterkeit“. Das Wesen des Dichters gewahrt uns auch die Büste von Gustinus Ambrosi: ein leidschwer gesenktes Elaupt mit einem weder besonders schönen noch besonders häßlichen, aber von einer heimlichen inneren Schönheit erfüllten Antlitz. Alfons Petzold hatte alle Leiden der Kreatur durchgekostet; gerade darum erfüllte ihn auch Mitleid mit allen Leidenden.

Darüber hinaus aber wollte er Lichtbringer für den arbeitenden Menschen sein.

Petzolds Religiosität hatte ihn früh auf den Heimweg zur Vollendung gewiesen. Von ihm stammt eine Sammlung rührend schöner alter Wallfahrtslieder, mit denen die Volksfrömmigkeit Mariazell umgab. Hinderte Petzold der frühe Tod daran, seine letzte Vollendung auch zu erreidien, so muß er uns doch über alle parteilichen Grenzen hinweg beispielgebend dafür sein, daß der kindhaft reine Geist die materielle Not irdischer Menschlichkeit tapfer zu überwinden vermag.

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