7004993-1987_39_11.jpg
Digital In Arbeit

Ein Konzil der Freiheit

19451960198020002020

,,Frische Luft“ wollte Papst Johannes XXIII. „in die Kirche lassen“, als er am 11. Oktober 1962 - vor bald einem Vierteljahrhundert, das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete. Was hatte dieser Aufbruch in der katholischen Kirche für eine Bedeutung? Ist dieses ökumenische Konzil heute noch wirksam?

19451960198020002020

,,Frische Luft“ wollte Papst Johannes XXIII. „in die Kirche lassen“, als er am 11. Oktober 1962 - vor bald einem Vierteljahrhundert, das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete. Was hatte dieser Aufbruch in der katholischen Kirche für eine Bedeutung? Ist dieses ökumenische Konzil heute noch wirksam?

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Herr Bischof, Sie haben als damaliger Diöze-sanbischof von Graz-Seckau am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen. Welche Erwartungen bestanden zu Beginn des Konzils?

BISCHOF JOSEF SCHOIS-WOHL: Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem inzwischen verstorbenen Karl Rahner in Venedig, wo er in seiner grimmigen Art in. sich hineingebrummt hat: „Wozu fahren wir nach Rom? Es ist ohnehin schon alles ausgemacht. Wir haben dort nichts zu reden. Das wird nur ein Ja-Sagen der Bischöfe zu schon vorbereiteten Papieren.“

Er dachte nämlich an die vorhergegangene römische Diöze-sansynode, bei der diverse Gremien alles - Hunderte Canones - in einem dicken Buch vorbereitet hatten, über dessen Inhalt kaum noch diskutiert werden konnte. Wohl wurde darüber abgestimmt, hernach kümmerte sich aber kaum jemand darum. Die römische Kurie bildete sich aber ein, daß damit die Richtlinien für die seelsorgliche Arbeit der Geistlichen von Rom mustergültig festgelegt seien. Das hat Rahner gewußt und gemeint, das Konzil werde ebenso ablaufen, zumal damals alle meinten, es beginne im September und werde im Dezember zu Ende sein.

FURCHE: Es kam aber anders ...

SCHOISWOHL: Wie sich gezeigt hat, ist es nicht einmal, sondern viermal, in den Jahren 1962 bis 1965, so abgelaufen. Rahner hat damals in Venedig noch gemeint: „Was soll durch die deutschen Bischöfe, mit dem erzkonservativen Joseph Frings an der Spitze, schon herauskommen?“ Und genau dieser Frings war es, der schon am ersten Tag durchgesetzt hat, daß die versammelten Bischöfe die Kommissionen zusammenstellten und nicht die Kurie mit ihrem vorbereiteten Entwurf zum Zug kam. Die Kommissionen hatten die Aufgabe, die noch nicht ausgereiften Texte der Schemata neu zu formulieren.

Bei dieser Abstimmung sind wir das erste Mal draufgekom-men, daß wir eine freie Versammlung sind und nicht etwas Vorgegebenes schlucken müssen. Damit sind von Anfang an die Weichen dazu gestellt worden, daß dieses Konzil ein Konzil der Freiheit und der freien Rede gewesen ist, wo niemand gehindert wurde, unverblümt seine Meinung zu sagen.

FURCHE: Wie war die Arbeitsweise des Konzils ? Wie kamen die Schemata zustande?

SCHOISWOHL: Die Schemata wurden von Ausschüssen — darin saßen anfänglich fast durchwegs von der Kurie ausgewählte Leute, Bischöfe, Theologen, Fachleute -vorbereitet und kamen dann ins Plenum. Zuerst wurde dort über das Gesamtschema abgestimmt, dann über Detailfragen.

Bei der Abstimmung hieß „Pla-cet“ ja, „Non placet“ nein, „Placet iuxta modum“ bedeutete ein Ja mit Abänderungsvorschlägen. Diese Vorschläge mußten schriftlich eingebracht werden und wurden dann vor einer neuerlichen Behandlung im Plenum von den Kommissionen bearbeitet. Es kam aber auch vor, daß Schemata als ga“nzes abgelehnt wurden und völlig neu eingebracht werden mußten.

FURCHE: Zum Beispiel?

SCHOISWOHL: Es gab ein Schema über die Missionen, übrigens das einzige der insgesamt 13 Schemata, für das Paul VI., der die Missionsarbeit fördern wollte, öffentlich Stellung nahm. Es war von Theoretikern entworfen worden. Bei der Generaldebatte lehnte zunächst ein Kanadier das Schema völlig ab, worauf ein Italiener auf die Empfehlung des Papstes hinwies und meinte, man könne nur einzelne,.kleine Punkte“ ändern. Aber dann ergriffen die Missionsbischöfe das Wort und zerpflückten das Schema total. Und bei der Abstimmung ist genau dieses Schema - empfohlen von Paul VI. - durchgefallen, und es mußte ein ganz neues gemacht werden. So etwas ist etliche Male passiert.

FURCHE: Glauben Sie, daß beim Konzil letztlich das herausgekommen ist, was sich Johannes XXIII. vorgestellt hat?

SCHOISWOHL: Zum Teil schon. Daß die Erwartungen immer größer sind, als sie dann erfüllt werden können, hangt mit der menschlichen Unvollkom-menheit zusammen. Es sind ja auch die einzelnen Schemata, die späteren Konzilsdokumente, nicht gleich zu bewerten. Es hat solche gegeben, die sehr tief und gründlich behandelt wurden, und andere, wo es ein bißchen oberflächlich zugegangen ist, und das merkt man denen auch heute noch an.

FURCHE: Welche zum Beispiel?

SCHOISWOHL: Uber die Erziehung oder die Öffentlichkeitsarbeit, Bereiche, die vielleicht damals zu wenig klar erkannt waren.

FURCHE: Hat der Papst regelmäßig an Sitzungen teilgenommen?

SCHOISWOHL: Nein. Er hatte aber eine Bild- und Tonleitung hinauf in sein Zimmer, so daß er zusehen und zuhören konnte. Daß er das tat, zeigte sich einmal in einer kritischen Situation, als eine Abstimmung zu einem Verwirrspiel wurde, wo Leute mit Ja abstimmen sollten, wo eigentlich ein Nein gemeint war. Wie es da zugegangen ist und die Leute miteinander gestritten haben! Tags darauf verkündete Erzbischof Peri-cle Felici „im Auftrag des Heiligen Vaters“—damals noch Johannes XXIII. —, die Sache vom Vortag müsse neu formuliert und neu zur Abstimmung gebracht werden.

FURCHE: Es ist also auf dem Konzil mitunter sehr lebhaft zugegangen?

SCHOISWOHL: Durchaus. Trotz Verbotes ließen es sich die Konzilsväter nicht nehmen, mitunter zu klatschen oder Buhrufe auszustoßen. Als zum Beispiel Kardinal Alfredo Ottaviani, Chef des Heüigen Offiziums, der heutigen Glaubenskongregation, meinte, das Offizium müßte letztlich noch prüfen, ob die Konzilsbeschlüsse nicht gegen Glaube und Sitten verstießen, gab es solche Buhrufe und solche Empörung, daß er sich danach 14 Tage nicht blicken ließ. In der Kurie sahen natürlich viele das Konzil mit Skepsis, aber unter der Gesamtheit der Konzilsväter war das eine kleine Gruppe.

FURCHE: Änderte sich etwas, als Paul VI. Papst wurde?

SCHOISWOHL: Im Grunde nicht, denn der Durchbruch war schon vorher erzielt worden. Paul VL war ein Mann, der dort, wo eine größere Minderheit aufgetreten ist, immer versucht hat, auszugleichen und eine Mittellinie herbeizuführen.

FURCHE: Bei den Schlußabstimmungen gab es ja kaum Gegenstimmen ...

SCHOISWOHL: Meistens nur acht, zehn oder zwölf — da waren die Placet-Stimmen so eindeutig, daß immer auch der Heilige Vater als Letzter seine Unterschrift gab, was er bei einem starken Gegenvotum nicht getan hätte.

FURCHE: Wie verhielt sich Erzbischof Marcel Lefebvre?

SCHOISWOHL: Es steht fest, daß er Dinge unterschrieben hat, gegen die er jetzt ankämpft.

FURCHE: Was ist für Sie persönlich wichtigstes Ergebnis des Konzils?

SCHOISWOHL: Sicher das Kirchenschema mit der Klarstellung, daß die Bischöfe eine unmittelbare Jurisdiktion haben, die nicht vom Heiligen Vater verliehen wird, sondern ihnen mit der Bischofsweihe gegeben ist, weil sie direkte Nachfolger der Apostel sind.

FURCHE: Hat das Konzil letztlich Ihre Erwartungen erfüllt?

SCHOISWOHL: Im großen und ganzen schon. Wenn ich etwas aussetzen soll, dann ist das der Umstand, daß wir uns nachher viel zu wenig damit beschäftigt haben. Wir haben es wohl am An-

fang mit einem gewissen Schwung getan, aber der ist abgeebbt.

Ein neues Konzil ist gar nicht notwendig, wir sollten das Zweite Vatikanische Konzil viel gründlicher aufarbeiten, auch mit dem Volk, mit den Christen, damit wir sehen, was da drinnen ist. Eine gewisse Ängstlichkeit ist heute unverkennbar, wenn man auf gewisse unbequeme Texte pocht. Die Tendenzen, Ergebnisse ein bißchen zurechtzuschieben und nicht so zu nehmen, wie es drinnen-steht, werden zwar nicht offen ausgesprochen, sind aber spürbar.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung