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Ein Brief aus Rom

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Rorfi, 22. Oktober 1963

Die sogenannte Konzilsdebatte wird eigentlich zu Unrecht

„Debatte“ genannt. Allen Aussagen der Väter liegt der Text der Vorlage, des Schemas zugrunde. Sie beziehen sich auf ihn, wollen ihn erweitert an dieser Stelle, klarer gefaßt an jener, anders angeordnet und so weiter. Dieser Text steht aber immer noch unter dem „Geheimnis“. So hängen die Voten eigentlich für die Öffentlichkeit in der Luft. Kurze Übersichten dürfen zwar herausgegeben werden und sind zu haben. Aber die Voten im Konzil gehen ins Detail. Wenn man sagt, daß jede menschliche Aussage nur in ihrer Situation richtig gedeutet werden kann (selbst kirchliche Definitionen), dann folgt, daß die Aussagen der Konzilsväter eigentlich samt und sonders von der Öffentlichkeit nicht oder nur sehr einseitig verstanden werden können, weil ihr Beziehungspunkt nicht hinreichend bekannt ist! Vernünftigerweise müßte daher auch der Text der Schemata bekanntgegeben werden!

Zweitens (und hier komme ich auf einen wesentlichen und mehr innerlichen Charakterzug der jetzigen Lage): Das vorliegende Schema über die Kirche weist einen großen Nachteil auf. Es ist in sich selbst alles eher als klar. Man kann gewiß Grundlinien erkennen. Sie sind ausgezeichnet. Will man aber näher zugreifen, dann rinnt einem fast alles wie Sand durch die Finger

Die vier Fragen

Um diesem Übelstand abzuhelfen, haben die Moderatoren dem Konzil angekündigt, sie wollten vier Fragen den Vätern zur Abstimmung vorlegen. Das geschah am Dienstag (15. Oktober). Bis heute wurden die Fragen nicht gestellt (Dienstag, 22. Oktober). Sie sehen, da spielt sich unter Wasser ein Kampf ab, von dem nur einige Luftblasen den Wasserspiegel der Öffentlichkeit erreichen. Um was für Fragen es sich handelt? Das Konzil soll schon jetzt klar entscheiden, ob es in diesem Schema die Sakramentalität der Bischofsweihe, das Kollegium der Bischöfe, das Diakonat als dauernden Lebensstand und die Kirche der Armen behandeln will oder nicht. Es wurde inzwischen auch über eine fünfte Frage, nämlich über das Marienschema abgestimmt. Der Autor hat aber immerhin damit recht, daß in dieser ganzen Frage der Abstimmung ein Chaos geherrscht zu haben scheint. (Die Redaktion.)

Zur Zeit gehen fünf verschiedene Marienschemata um. Gutachten werden auch verteilt über das Diakonat, für und wider. Von Msgr. Staffa, dem Kuriensekretär der Kongregation für Seminarien, eines gegen den verheirateten Diakon; ein anderes von den Theologen Rahner, Ratzinger und Marte- let, das für das ständige Diakonat (nicht aber für den verheirateten) eintritt. Gegen dieses wandte sich im Konzil Kardinal Ottaviani, als ob die Verteilung solcher Gutachten nicht gestattet wäre, weil im Konzil die Theologen die Bischöfe nicht zu belehren hätten! Dagegen wandten sich nun wieder verschiedene spätere Redner, zuletzt Kardinal Suenens: „Was täten wir denn ohne die Theologen!“ Kurzum, derUnter- Wasser-Kampf ist in vollem Gang.

Aber warum verzögert sich die Ansage der vier Themen? Hier herrscht eine Art Kompetenzstreit. Haben die Moderatoren die Vollmacht, solche Abstimmungen außer der Reihe durchzuführen? Der Generalsekretär, Msgr. Felici, scheint im Namen der Geschäftsordnung dagegen zu sein. Die dekorativen Präsidenten, von denen nur Tisse- rant unterrichtet war, fühlen sich übergangen. Die Koordinationskom- mission meldet auch Ansprüche an. Dahinter vermutet man das Heilige Offizium, dem daranliegt, das Kirchenschema möglichst problemlos zu gestalten oder es durch Verschleppung zu Fall zu bringen. Wie auch immer, die Moderatoren müssen jetzt zeigen, ob sie eine wirkliche Bedeutung haben. Sie müssen einen Kampf führen auf Biegen und Brechen. Die letzte Entscheidung liegt in der Hand des Papstes.

Nehmen wir an, die vier Themen werden vom Konzil angenommen. Dann müssen sie eine sehr sorgfältige Ausarbeitung finden. Ob die jetzige theologische Kommission, bei der eine Zweidrittelmehrheit in heikler Frage kaum zu erreichen ist, dazu fähig wäre, darf füglich bezweifelt werden. Es wird, da diese Zusammensetzung der Zusammensetzung in der Konzilsaula nicht mehr entspricht, ernstlich erwogen, ob die theologische Kommission nicht durch eine neu zu wählende ersetzt werden muß! Verstehen Sie jetzt den Widerstand Ottavianis?

Die Abstimmung über die Schemata war die Vorstufe für die weiteren Verhandlungen und hat in Klarheit das Verhältnis der Bischöfe ge- offenbart. Allerdings bleibt die Schwierigkeit der Schemata weiter bestehen. (Die Redaktion.) Schon lachen die Bischöfe und sagen: „Das ist kein guter Zustand in den Kommissionen. Die alten Schemata sind gefallen, das waren die Kinder der jeweiligen Kurienkardinäle, die ihnen Vorsitzen. Die Vorsitzenden betrach-

ten die neuen Schemata als .Stiefkinder“, und es ist zu fürchten, daß ! Nun man weiß, wie Stiefkinder oft behandelt werden.“ Mit all dem wollte ich Ihren Optimismus nun keineswegs dämpfen! Im Gegenteil. Während die Zeit zwischen beiden Sessionen trotz aller guten Arbeit, die geleistet wurde, doch eine etwas einebnende Tendenz auf weist (die Parole war: man findet sich in der Mitte), geht nun der Spaten wieder plötzlich tief in den Boden hinein. „Willst du ein hohes Haus bauen, so grabe erst ein tiefes Fundament aus“, sagt Augustinus. Ich glaube, die immer erneuten Aushübe in die Tiefe versprechen ein hohes Haus.

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