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Ein offenes Miteinander

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Seit einigen Wochen besitzen die Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Erfahrung im Umgang mit ihrer Kirche: In den Bistümern Hildesheim und Augs- burg gab es Diözesansynoden. Bis- her wurde diese Einrichtung des Gedankenaustauschs und der ge- meinsamen Suche nach Glaubens- erneuerung in Deutschland selten genutzt. Abgesehen von einer Diö- zesansynode in Hildesheim im Jah- re 1968 hatte sich nach dem Konzil und nach der Gemeinsamen Würz- burger Synode aller Bistümer nur Rottenburg (1985) auf das Wagnis einer Bistumsversammlung einge- lassen. Obwohl beispielsweise in Augsburg heftige Streitereien während der Sitzungsperiode für Schlagzeilen sorgten, bekannte Bischof Josef Stimpfle nach Ab- schluß der Versammlung, das Wagnis habe sich gelohnt, und empfahl auch in anderen deutschen Bistümern die Durchführung von Synoden „ohne Bedenken".

Daß solche freilich immer wieder und immer noch bestehen, erklärt Gerhard Bauer, der Sekretär der Augsburger Synode mit der „Grundproblematik von Diözesan- synoden in unserer gegenwärtigen weltkirchlichen Gesamtwetterla- ge". Allzu oft würden sich „unrea- listische Erwartungen mit einem solchen Ereignis verbinden, sei es, daß man Kirche und kirchliche Strukturen mit Mehrheitsvoten ver- ändern will, sei es aber auch, daß Synode lediglich als Ordnungsfak- tor verstanden wird, um Lehre und Disziplin der Kirche festzuschrei- ben". Die eigentliche Möglichkeit einer Bistumssynode liege aber genau in ihrer pastoralen Zielset- zung, „in der Konzentration und Beschränkung auf die Seelsorge".

Offensichtlich ist es sowohl in Hildesheim als auch in Augsburg gelungen, die Fragen der Seelsorge zum Gegenstand der Beratungen zu machen, die viele Menschen heute berühren. In beiden Dom- städten erhitzten Ehe- und Fami- lienfragen die Gemüter. Hier wie dort kristallisierte sich die Notwen- digkeit heraus, Moralvorstellungen der Kirche Menschen von heute verständlich zu machen und gelehr- te mit gelebter Moral in Verbin- dung zu bringen. In einer Vorlage hatten die Hildesheimer Synodalen zum Beispiel formuliert: „In der Gemeinde wird eine offene Einstel- lung zu jungen Menschen geför- dert, die ohne eheliche Absichten in einer festen Beziehung leben."

Bischof Josef Homeyer lehnte einen solchen Beschluß mit dem Hinweis ab, in den Papieren finde faktisch eine kirchliche Legitimie- rung nichtehelicher Lebensgemein- schaften statt. Doch diese Heraus- forderung für kirchliche Pastoral leugnete er ebensowenig wie Josef Stimpfle in Augsburg, der sich nach heftigen Disputen zu einer „lehr- amtlichen Grundlegung" genötigt sah. Wie gespannt die Atmosphäre sein kann, demonstrierten darauf- hin einige Synodale, indem sie - für kurze Zeit - die Aula verließen.

Die Zusammensetzung der Teil- nehmer in Augsburg mag übrigens als Signal gewertet werden. Von den 250 Synodalen waren 144 Prie- ster und 106 Laien, davon über die Hälfte Frauen. Vielleicht hängt es mit den vielen Frauen zusammen, daß es in Augsburg - ähnlich wie in Hildesheim - keine Tabu-Themen gab. Im Gegenteil. Die Aufforde- rung des Bischofs, mit Blick auf die Seelsorge in der Pfarrgemeinde zugleich positive Entwicklungen der letzten 25 Jahre zu berichten und zu fragen: Was läuft nicht, was macht uns Sorge, womit haben wir Probleme, was können und sollen wir besser machen?, wurde ernst- genommen.

Kollisionspunkte zwischen kirch- licher Lehre und christlichem All- tag sind nach den beiden Synoden so beschrieben: Wiederverheirate- te Geschiedene, Empfängnisverhü- tung, nichteheliche Lebensgemein- schaften und die Stellung der Frau in der Kirche. Auch der Pflichtzöli- bat kam immer wieder zur Spra- che.

Weder in Hildesheim noch in Augsburg erwies sich eine Synode als vertane Zeit. Josef Homeyer sprach sogar davon, daß die Synode für ihneine „großeErmutigungund eine tiefe Glaubenserfahrung" gewesen sei. Ganz sicher waren die beiden Versammlungen, die der Augsburger Josef Stimpfle allen zur Nachahmung „ohne Bedenken" em- pfiehlt, ein Forum, das Kirche und Christen nicht nur in der Bundesre- publik Deutschland dringend brau- chen: ein Ort des offenen Miteinan- der von Amtsträgern und Laien. . Daß dabei herauskommt, worauf es vielen Christen ankommt, mö- gen Zauderer als Bedrohung emp- finden. Realisten werden dankbar sein und die Herausforderungen als das erkennen, was sie sind: eine gemeinsame Aufgabe von heute für eine Kirche von morgen.

Der Autor ist verantwortlich für das Ressort „Katholische Theologie und Kirche" in der Bon- ner Wochenzeitung „ Rheinischer Merkur/Christ und Welt".

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