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Ein Teufelskreis

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Wenn der Verlag E. in falscher Einschätzung der Marktlage das 398. Buch über die Wiener Philharmoniker ediert, sind seine Tage gezählt.

Wenn der Dichter T. im Uberschwang der Gefühle das achtzigtausendste Gedicht über den Herbst und seine Schönheiten verfaßt, kräht kein Hahn danach, und die für eventuell zu beachtende Ergüsse der Poesie vorgesehene Druckerschwärze bleibt in der Tube.

Wenn aber der Politiker X die siebenundfünfzigste Meinung zu einer Äußerung seines Parteigegners Y über die zulässige Höchstgeschwindigkeit von Nebenbahnen im Falle des Transports wehrdienstpflichtiger Brieftauben abgibt, nachdem dies schon sechsundfünfzig Kollegen vor ihm gleichermaßen getan hatten, wird diese Ansicht nicht nur wörtlieh in verschiedenen Publikationen wiedergegeben, sondern sie wird ihrerseits ebenfalls von politisch und überhaupt Andersdenkenden zwanzig- bis dreißigfach kommentiert.

Das erinnert an das Bild des für jeweils einen abgehackten Kopf deren zwei hervorbringenden Drachens, dessen Herausforderer bei genauer Überlegung gut daran täte, die Axt ins nächste auch für einschlägige Flinten vorgesehene Korn zu werfen.

Die Geduld, mit der das Publikum solche Endlosspiele zu verfolgen imstande ist, grenzt an jene, mit der es sich seit Jahr und Tag die Neunschillingneunzig-preise der Supermärkte gefallen läßt. Wobei der Vergleich insofern hinkt, als die Eloquenz der jeweiligen Meinungskundgebungen die Phantasie der genannten Preisgestaltung eher unterschreitet.

In beiden Fällen aber ist es die zitierte Strapazierfähigkeit der Massen, die Mut zu weiteren einschlägigen Produktionen macht und jegliche Änderung der Lage vereitelt.

Wohl würde der sensible Kommentator, legte der sein Ohr ans Maul des Volkes, mitunter noch Murren vernehmen, öfter aber aus Desinteresse und nicht etwa sprachlos machender Aufmerksamkeit entstandenes Schweigen, doch zählt Sensibilität dieser Art nicht gerade zu den stark hervorragenden Eigenschaften der in Frage Kommenden.

Und gerade da setzt die Ausweglosigkeit ein, denn eben jene Interesselosigkeit ist ja das Resultat der Kommentarflut, die jedoch in der irrigen Ansicht, von Interesse zu sein, immer gewaltiger wird, was wiederum, simple

Notwehr scheint dafür kausal verantwortlich zu sein, völlige Abstumpfung der potentiellen Nachrichtenempfänger nach sich zieht.

Das Bild ist ohne Ende. Dem Mißverständnis auf der Spur, begibt sich ja auch der Scharfäugige auf den Kreisgang ohne Fluchtweg als einzig begehbaren Pfad, was alsbald zur Ermüdung führt und den Finder desselben zum Anhalten veranlaßt.

Was bleibt, ist der Blick auf eine geschlossene, wenn auch nicht abgeschlossene und nicht unbedingt runde Sache.

Ausbruchsversuche können empfohlen werden, sind aber nur mit großer Kraft durchzuführen und daher eher unvorstellbar.

Die Frage, weshalb Sisyphus die Erkenntnis seines fruchtlosen Tuns nicht endlich zur Tat, nämlich zur Einstellung derselben, verwendet, kann schließlich ebenfalls nur aus göttlichem Mund beantwortet werden.

Dieser aber bleibt, quod erat demonstrandum, wie die schweigende Mehrheit stumm.

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