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Erfahrung des Heils

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In den Jahren nach dem II. Vatikanischen Konzil glich die katholische Theologie einem Großumbau: an allen Ecken und Enden begann ein emsiges Arbeiten, Experimentieren mit neuen Formen und Materialien, Drapieren und Zusammenfügen der Teile; manches wurde abgebrochen, manches Neue aufgebaut, vieles blieb vorerst im Magazin oder ungeordnet auf der Baustelle liegen. Zeichen für diese Situation war eine rege Produktion an theologischer Literatur, die sich aber - von Ausnahmen abgesehen - vor allem mit Einzelfragen und Detailproblemen beschäftigte.

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In den Jahren nach dem II. Vatikanischen Konzil glich die katholische Theologie einem Großumbau: an allen Ecken und Enden begann ein emsiges Arbeiten, Experimentieren mit neuen Formen und Materialien, Drapieren und Zusammenfügen der Teile; manches wurde abgebrochen, manches Neue aufgebaut, vieles blieb vorerst im Magazin oder ungeordnet auf der Baustelle liegen. Zeichen für diese Situation war eine rege Produktion an theologischer Literatur, die sich aber - von Ausnahmen abgesehen - vor allem mit Einzelfragen und Detailproblemen beschäftigte.

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Eine neue große Synthese fehlte noch. Darum war es auch kein Wunder, daß in den Jahren nach dem Konzil keine neue geschlossene Dogmatik oder ein durchdachter theologischer Gesamtentwurf erschien (die siebenbändige heilsgeschichtliche Dogmatik „Mysterium Salutis“ ist nur scheinbar eine Ausnahme, denn auch hier sind unter dem gemeinsamen „Mantel“ einer Dogmatik eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen theologischen Artikeln mit sehr versbhiede- nen Ansätzen vereinigt und zusammengefaßt).

In den letzten zwei bis diei Jahren hat sich - scheint es - die Szene sehr gewandelt. Es erschien eine Reihe von Werken, die sich um eine Synthese zentraler theologischer Themen bemühte, und zwar um eine Synthese, welche die vielen Neuansätze der unmittelbar nachkonziliären Zeit, die unzähligen exegetischen Detailuntersuchungen, die neueren systematischen Ansätze zu integrieren suchte. Im Rahmen dieser neuen Entwicklung sind vor allem zu nennen: W. Kasper: „Jesus der Christus“; H. Küng: „Christsein“; E. Schillebeeckx: „Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden“. Diese voluminösen Bände fanden trotz hoher Preise und Umfänge einen unerwartet hohen Absatz: Zeichen dafür, daß eine neue Glaubenslehre erwartet und begrüßt wurde.

In diese Entwicklung fügt sich das neue Werk von Schillebeeckx, „Christus und die Christen“ ein. Mit seinen 895 Seiten ist es sachlich eine Fortsetzung des Jesus-Buches: Hatte dieses unter Aufarbeitung einer ungeheuren exegetischen Literatur gezeigt, was im „historischen Jesus“ den „Durchstoß zu dem hat geben können, was das Neue Testament von ihm bekennt“, so geht es jetzt „unmittelbar um die neu- testamentliche Ergänzung dessen, was Christen in ihrer Begegnung mit Jesus, dem Herrn, erfahren haben“. Der Autor selbst: Das erste war ein ,Jesus- buch’, ohne dabei den Christus zu vernachlässigen; dieses zweite ist ein ,Christusbuch’, ohne Jesus von Naza- ret dabei zu vergessen“. Anders gesagt: Das Neue Testament und die von ihm herkommende Glaubensgeschichte zeigt, daß Menschen durch Begegnung mit Jesus für ihr eigenes Leben und die Sicht der Welt einen neuen Sinn und eine neue Bedeutung erfahren haben; eine neue Lebenspraxis und Lebensemeuerung ging von ihm aus. Die Menschen erfahren - kurz gesagt - „Heil in Jesus von Gott her“. Die neutestamentlichen Schriften sind auf verschiedene Weise ein Niederschlag dieser neuen Erfahrung, so wie es dem jeweiligen soziokulturel- len Kontext, der geschichtlichen Situation, der verschiedenen überkommenen Sprachwelt und der persönlichen Erfahrung entsprach. Diese verschiedenen neutestamentlichen Erfahrungen von Heil und deren unterschiedliche Thematisierung .will Schillebeeckx ergründen, um sie unter heutigen Verstehens- und Erfahrungsbedingungen neu zu vermitteln. Es geht also - nach des Verfassers eigenen Worten - um das, „was man einen ersten Ansatz zu einer modernen christlichen Soteriologie (Heils- und Gnadenlehre) nennen könnte“.

Diese „neue“ Soteriologie unterscheidet sich nun nicht nur dadurch von der traditionellen systematischen Gnadenlehre, daß sie in einer bisher einzigartigen Minutiosität auf 371 Seiten unter Einbeziehung und Verarbeitung einer unglaublich zahlreichen Literatur die alt- und neutestamentlichen Heilsaussagen zusammenträgt und exegetisiert - ich kenne kein anderes theologisches Werk, das eine solche Synthese versucht hat -, sondern vor allem dadurch, daß eine M

hode angewandt wird, welche Frucht der neueren hermeneutischen Diskussion ist und die höchst aktuelle Frage nach dem Zueinander von Glaube und Erfahrung aufgreift. Wenn - wie Schillebeeckx zu Recht sagt - der „Bruch zwischen Glaube und Erfahrung. .. eine der grundlegenden Ursachen für die heutige Krise unter kirchentreuen Christen“ ist, dann ist alles daran zu setzen, die ursprüngliche Einheit von Glaube und Erfahrung wiederzugewinnen. Darum sucht Schillebeeckx die biblischen Texte zu verstehen als in Erfahrung gründende Zeugnisse, die zu neuen Erfahrungen auffordern und verhelfen wollen, damals wie heute.

Diese Heilserfahrungen „damals“ sucht er dann im umfangreichen vierten Teil in unsere heutige Situation zu

„inkulturieren“. Da dieses unser „Heute“ ausgezeichnet ist durch ein weltweites Verlangen nach gesellschaftlicher Selbstbefreiung und Emanzipation, wird hier auch der Ansatzpunkt gefunden, Heil von Christus her zur Erfahruhg zu bringen.

Dies mag zur kurzen Vorstellung dieses Werkes genügen. Gerade die Thematisierung „Heil als Erfahrung“ dürfte viele Zeitgenossen anregen, zu diesem Buch zu greifen, zumal heute, wo „religiöse Erfahrungen“ geradezu Reizwort geworden sind. Doch liegt hier wohl auch der neuralgische Punkt des Werkes. Der Zusammenhang von Glaube und Erfahrung ist mir zu einli- nig vom Menschen her verstanden; zuwenig tritt hervor, daß die Erfahrung Gottes und die Erfahrung des Heils als im Ereignis des Kreuzes gründend (also gerade in der scheinbaren Abwesenheit des Heils) in dem Kontext menschlicher Erfahrungen nicht aufgehen und deswegen eigener Kategorien bedürfen.

Was immer man aber auch kritisch gegen das Werk von Schillebeeckx einwenden mag: Hier liegt ein Stück „großer Theologie“ vor uns, eine neue Synthese des christlichen Glaubens, die man auch da nur mit höchstem Respekt zur Kenntnis nehmen kann, wo kritischer Einspruch anzumelden ist.

CHRISTUS UND DIE CHRISTEN. Die Geschichte einer neuen Lebenspraxis. Von Edward Schillebeeckx. Verlag Herder, Freiburg 1977, 896 Seiten, öS 678,—.

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