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Deutliche Warnung

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Gerade in jüngster Zeit fühlt man sich wieder nachhaltig an Sigmund Freuds erhellende Schrift „Das Unbehagen in der Kultur" erinnert. Was treibt die Menschen in Kriege, in Zerstörung und Selbstzerstörung? Was jagte die Serben, Kroaten, Bosnier in den Vernichtungskrieg, anstatt daß sie sich darauf geeinigt hätten, ihr wunderbares Land zum Touristenparadies des Westens zu machen und die Befreiung vom Kommunismus für eine ersprießliche Marktwirtschaft zu aller Vorteil zu nutzen? Was treibt die Basken zum Terror gegen die Spanier, die katholischen Iren gegen die Protestanten?

Natürlich jeweils ganz spezielle Gründe - wobei man den Verdacht nicht los wird, daß dennoch ein viel tieferer Anlaß besteht, die emotionale Voraussetzung für diese Gründe zu schaffen: Die Batio-nalität, der Verstand, die Vernunft müssen nämlich vorher ausgeschaltet werden. Irgend etwas muß stärker sein als sogar der Eigennutz - denn was haben die Serben von zerstörten Städten, Zehntausenden Toten, der ruinierten Wirtschaft? Es gehört eine gewaltige Portion Wahnsinn dazu, an dem Ast zu sägen, auf dem man sitzt, oder sich selbst auf orientalische Manier in die Luft zu sprengen. Freud schreibt in seiner oben genannten Untersuchung: „Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden."

In seinem offenen Brief an Einstein, „Warum Krieg", formuliert Freud noch deutlicher: „Seit unvordenklichen Zeiten zieht sich über die Menschheit der Prozeß der Kulturentwicklung hin. Diesem Prozeß verdanken wir das Beste, was wir geworden sind." Und: „Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg." Nun kann man nicht gerade sagen, daß unsere kulturelle Entwicklung der letzten Jahrzehnte unbedingt in eine humanistische Richtung geführt hätte.

Auch in den kommunistischen Schulen Jugoslawiens waren vor allem die serbischen, aber auch die kroatischen Nationalismen immer noch erstaunlich stark vertreten. Wir im Westen sollen sehr darauf achten, die Institutionen der Kultur nicht den Zerstörern zu überlassen: wir sollten derart grelle (und nahe) Warnungen zur Kenntnis nehmen, denn der Erdrutsch kommt plötzlich.

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