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Friede - auch ohne Benzin

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Stehen wir an einer Wende?

Zum erstenmal nach vielen Jahren feiern wir ein Weihnachtsfest, dem nicht nur Festtagstrubel und glitzernder Talmi-Kitsch vorausgehen. In vielen Ländern Europas sind die Weihnachtsbeleuchtungen ausgegangen, das große Geschäft ist ausgeblieben.

Angst, ja Sorge beherrschen sogar das Privatgespräch der Menschen. Die Massenmedien sprechen von einer Krise, die uns ins Haus steht. Und tatsächlich weiß niemand, was uns schon die nächsten Wochen bringen werden.

Die Zeit ungehemmten Wachstums und Wohlstands ist offenbar vorbei. Aber zwei Tatsachen drängen sich gerade in diesen Tagen, in denen die christliche Welt der Geburt des Herrn gedenkt, auf:

• Die Abhängigkeiten und Zusammenhänge zwischen den reichen, hochindustrialisierten Völkern und den armen, aber rohstoffproduzierenden Ländern sind stärker denn je geworden. Den Industriestaaten wird deutlich vor Augen geführt, daß sie von der Dritten Welt abhängig sind — die man mit ihrem Hunger und ihren Problemen nur allzu gerne allein läßt. Hier stehen die arabi-sen Staaten nur stellvertretend für das ganze Lager der Entwicklungsländer. Deutlicher denn je ist klargeworden, daß es ein wechselseitiges Verhältnis gibt — und daß es uns wirklich nicht gleichgültig sein kann, wenn in Äthiopien zehntausende Menschen verhungern und in Afghanistan der Analphabetismus eher zu-als abnimmt.

• Zweitens wissen wir deutlicher als je vorher, daß wir allzu, sorglos und optimistisch in die Zukunft hineinleben; daß wir den Wohlstandsfortschritt zum Götzen erhoben haben und auch ohne Rücksicht auf vorhandene Reserven — die unsere Nachkommen benötigen — unsere eigene Verschwendung im Auge hatten. Wir erkennen vielleicht nun deutlich, daß Wohlstand und der sogenannte Fortschritt eben doch nicht das Alpha und Omega sind. Vor allem sind sie kein Index für Lebensqualität (ein so viel strapaziertes

Ein Berufsstand — und noch dazu ein prominenter — gerät ins Zwielicht.

Zwei Ärztinnen greifen ihre Standeskollegen an; die prominentere, immerhin Gesundheitsminister, stritt inzwischen wieder ab, Gynäkologen der Annahme von „Schweigegeldern“ geziehen zu haben, wenn sie um Abtreibungen wußten; die andere behauptet, Ärzte nähmen Geld und Geschenke für Einweisungen in Altersheime.

Nun ist es keine Frage, daß Mißstände denkbar sind — und weil Ärzte Menschen sind, können sie auch menschlich fehlen. Aber wem soll gedient sein, wenn zwischen Ärzte und Öffentlichkeit ein so gravierender Anti-Vertrauens-Keil getrieben wird?

Die Schuld liegt da wohl anderswo: bei der Misere der fehlenden Spitalbetten, Altersheime; und offenbar auch bei einer doch eher laxen Standesvertretung, die hinter Standesverletzungen ihrer Außenseiter leider nicht sonderlich eifrig her ist.

Modewort), sondern eher ein Anzeichen für Lebensleere, mangelnde Sinngebung und Lebenserfüilung.

Hysterischen Zeitgenossen mag es in diesen Tagen als schrecklich erscheinen, einen Tag der Woche ohne Auto zu leben. In Wirklichkeit aber ist es geradezu ein Segen, wenn sich der Mensch von den zu Zwängen gewordenen Einrichtungen der ihn umgebenden Techniken einmal löst, um sich wiederzufinden: als Mensch unter Menschen und in der Familie.

Die Annahme, daß unser Wirtschaftswunder unbeschränkt und unbegrenzt weitergehen würde, hat sich ohnehin als Irrtum erwiesen. Volkswirtsehaftler und Politiker, ja jeder Staatsbürger, werden nun die Pflicht haben, für einen gerechten Lastenausgleich einzutreten, wenn es zu schwierigen Situationen für unsere Volkswirtschaft kommen sollte. Aber wir wissen aus der Geschichte, daß Krisenzeiten vielfach auch Zeiten des näheren Zusammenrückens, des Entstehens eines Solidaritätsgefühles sind. Und gerade diese mitmenschliche Solidarität haben wir ja in der Vergangenheit nicht selten außer acht gelassen.

Viele Zeitgenossen haben auch in den letzten Jahren im Trubel von Kommerz und Kitsch vergessen, woran uns das Weihnachtsfest eigentlich erinnert, an was es uns mahnt: Gott selbst ist zu den Menschen gekommen, auf ganz einfache, ärmliche Weise, um den Frieden zu bringen.

Frieden: er ist in der ärmlichen Krippe zu Bethlehem zu suchen und zu finden — äußerer und innerer Friede. Und sicherlich ist es so, daß der Friede, den dieses Fest auch noch 1973 Jahre nach der Geburt Christi dem gutwilligen Menschen vermittelt, nicht von der Zahl der Geschenke, nicht von der Helligkeit elektrischer Kerzen, nicht vom Vorhandensein eines Autos vor der Haustür abhängig ist. Erinnern wir uns: waren es nicht — ohne Glas in den Fenstern, ohne Gans im Kochtopf und ohne Brennstoff im Ofen — für viele Österreicher erhebende Weihnachten, damals, 1945, als wieder Friede war, als Familien zum erstenmal wieder zusammen feiern konnten?

Wir haben vieles verlernt; wir haben nicht mehr die Empfindung, daß dieses Fest uns auch mahnt: zu Menschlichkeit, Verantwortlichkeit. Daß es echte Caritas abfordert, will man der Botschaft des menschgewordenen Sohnes Gottes entsprechen.

Ein Weihnachtsfest im Schatten einer möglichen Krise. Das kann durchaus heilsam sein, eine Chance zum Umdenken, zur Mobilisierung positiver menschlicher Eigenschaften. Es kann freilich auch das Gegenteil bedeuten, wenn es etwa der Startschuß zu noch größerem Egoismus ist: zum Kampf um die größere Ration an Benzin, zum größeren Hamsterpaket im Keller.

Gerade in Österreich haben wir ja — nur wenige Wochen vor diesem Weihnachtsfest — nicht gerade einen Akt der Mobilisierung menschlicher Caritas erlebt. Die Freigabe der straflosen Abtreibung menschlichen Lebens kann Österreichs Katholiken in diesen Tagen nur beschämen. Weil sie das Gegenteil dessen ist, wozu uns die Menschwerdung Gottes mahnt. Ein Anti-Weihnachten also, das diese Tage des Jahres 1973 leider überschattet.

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