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Geld zur Gesundheit

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Die Generation, die Armut und Mangel der ersten Nachkriegs jähre erlebt hat, knüpft ihre Vorstellung von einer gesunden Ordnung auch an die Voraussetzung, daß jeder imstande sein muß, alle seine leiblichen Bedürfnisse, Nahrungsmittel genauso wie Genußmitte], ausreichend zu befriedigen. Dies funktioniert in der Praxis so, daß die Österreicher in den Weltranglisten der sauf- und freßfreudigen Nationen stets Spitzenplätze belegen. Die Kehrseite der Medaille ist hinlänglich bekannt: ein ständiges Ansteigen der zivilisatorischen Krankheiten, eine Verdreifachung der Ausgaben der Krankenversicherungsanstalten in den letzten fünfzehn Jahren usw.

Die politische Ökonomie nennt Güter, die der einzelne aus Unkenntnis, aber auch irrationaler Bezerrten Präferenzen gerecht zu werden. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß in Österreich auf dem Sektor des Volksgesundheitsdienstes ein Nachholbedarf vorliegt (in Österreich kommt laut UN-„Statisti-cal Yearbook 1969“ auf 100 Einwohner ein Krankenbett, in Schweden hingegen schon auf 70, in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland auf 90 und in Luxemburg auf rund 80 Einwohner ein Krankenbett), dürften im Bereich des Volksgesundheitsdienstes — insbesondere im Hinblick auf die Behandlung der zivilisatorischen Krankheiten — außergewöhnlich große konzeptionelle und finanzielle Anstrengungen seitens des Staates erforderlich werden.

An konzeptionellen gesundheitspolitischen Vorstellungen hat es in den letzten Wahlkämpfen bei beiden politischen Parteien nicht gefehlt. Die ÖVP propagierte 1970 die Schaffung eines österreichischen Instituts für Volksgesundheit und die Refor-mierung des Krankenanstaltenwesens. Die SPÖ wiederum verarbeitete Lösungsvorschläge zu den Problemen des Volksgesundheitsdienstes sowohl programmatisch als auch propagandistisch äußerst geschickt in ihrem „Humanprogramm“, in dem übrigens auch die Anwendung des Planning-Programming-Budgeting-Systems mit den Zielkategorien Krankheitsverhütung, Früherfassung, Krankheitsbekämpfung und Rehabilitation entwickelt ist.

Im Zusammenhang mit den steigenden Kosten der medizinischen Behandlung durch den medizinischen Fortschritt, teurere Medikation, raffiniertere Instrumentation, gründlichere Untersuchungsmethoden, personell und einrichtungsmäßig anspruchsvollere Chirurgie, die sprunghaft zunehmende Zahl zu rehabilitierender Invalider und schließlich auch durch eine bedeutend höhere Lebenserwartung (sie stieg seit Beginn dieses Jahrhunderts um rund 20 Jahre), sind Regierungen freilich auch verpflichtet, das Problem der Sicherstellung des Gesundheitsdienstes, der Finanzierung also, anzupacken. Hierbei verrät die gegenwärtige Bundesregierung einigen Mut zur Unpopularität: Schon in den ersten Monaten ihrer Regierungstätigkeit ging sie daran, die relativ niedrigen Preise für Tabakwaren zu erhöhen; kündigte 15 statt 10 Prozent Alkoholsteuer (was dem Gesundheitswesen jährlich 700 Millionen Schilling bringen soll), die Erhöhung des Bierpreises und des Zuckerpreises an. Kurz und gut: sie scheint bereit, die demeri-torischen Güter zu verteuern und einen Teil der Mehreinnahmen für den Volksgesundheitsdienst sicherzustellen. Daß dieses schon im Wahlkampf angekündigte Prinzip dann bei der Tabakpreiserhöhung fallengelassen wurde und die Kompetenzen des neu zu errichtenden Gesundheitsministeriums samt dessen Plänen ungeklärt sind bzw. im Dunkel liegen, wirft freilich kein gutes Licht auf die angekündigte Regierungsbereitschaft, Probleme des Volksgesundheitsdienstes zweckmäßig und zielführend zu lösen.

Aber weil allgemein bekannt ist, daß eine Verteuerung der Genußmittel keinen Beitrag zu deren vermindertem Genuß darstellt, ist es logisch und gesellschaftspolitisch vernünftig, im Zuge der anwachsenden Süchtigkeit auf verschiedenen Gebieten als Begleitsymptom unseres Zivilisationsfortschrittes und -geschehens den Konsumenten demeritorischer Güter den größeren Teil der Finanzierung ihres Handelns aufzubürden. Dem prospektiven Alkoholiker entsprechend seinem Alkoholkonsum, dem prospektiven Patienten mit Lungenkarzinom, mit Kreislaufstörungen, mit Herzinfarkt entsprechend seinem Tabakkonsum, dem prospektiven zahnkranken Kind und Erwachsenen entsprechend seinem Konsum an Süßwaren und Zucker.

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