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Ratholische Versuchungen

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In jeder Beligion entwickelt sich im Laufe der Zeit eine bestimmte Art, wie sie gelebt und umgesetzt wird. Dabei vermengt sich Mißbräuchliches und Gutes, sodaß es nur bei genauerem Zusehen auseinandergehalten werden kann. Einzelne solcher Versuchungen möchte ich ' benennen. Man könnte vermutlich auch allgemeiner von christlichen Versuchungen sprechen, aber ich kehre doch lieber vor der eigenen (Kirchen-)Türe.

Was uns vielfach in unserem religiösen Bemühen prägt, ist eine Er-fiillurigsmentalität. Unausgesprochen lautet die Grundfrage: „Was muß ich tun, damit ich in den Himmel komme?” - oder so ähnlich.

So hatte auch der reiche junge Mann gefragt, um von Jesus darauf eine endgültige Antwort zu erhalten. Möglichst quantifizierbar sollte es sein, damit ich danach streben, es erfüllen, und dann abhaken kann. Das Ziel wäre gleichsam ein volles Konto, das ich am Ende meines Lebens präsentieren könnte: x-mal dies, y-mal jenes - alle Vorschriften erfüllt. Diese Haltung verbinden wir im allgemeinen mit den Pharisäern in den Evangelien, übersehen dabei, daß sie uns selbst immer wieder zusetzt. Auch Simon Petrus wollte wissen, ob ein siebenmaliges Verzeihen in etwa den Vorstellungen Jesu entspräche und es dann einfach genug sei.

Bekanntlich genügt es eben nicht, und auch der junge Mann erhält die verblüffende und auch unpräzise Antwort: Die Gebote als undiskutierbare Basis -ja, auch das Freimachen von der Verhaftung an irdischen Besitz; aber dann: „Komm und folge mir nach.”

Glaube an Jesus Christus ist nicht eine Vollzugs-, sondern eine Beziehungssache. Nachfolge ist nicht quantifizierbar, sondern offen für immer neues Bemühen und für substantielle Vertiefung. Daher wird Petrus auch dahingehend belehrt, daß es genügt, 77mal - das heißt unendlich oft - zu vergeben.

Gott ist kein Buchhalter, sondern Person. Sein Verhältnis zu uns ist von I .iebe bestimmt, nicht von „Du sollst (nicht)”. Gebote gehören als Verhaltensrahmen auch dazu, aber als Minimalrahmen. Werden sie zum Ein und Alles in unserem Leben, so ist das versucherischer Mißbrauch, weil Mißachtung der Identität des liebenden Gottes.

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