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Grauer Wurstmarkt

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Seit nunmehr zwei Jahren verkauft die Regierung das dirigistische Instrument der Preisrc-gelung als das Heilmittel gegen den Preisauftrieb in Österreich. Gerade so lange Zeit wetterten einschlägig befaßte Fachleute und die ÖVP mit gewiß logischen Argumenten gegen die befristete Preisregelung. Diese sei, so wurde bedeutet, nicht marktkonform und im übrigen geeignet, während der Gültigkeit eines Preisregelungj-gesetzes sogenannte „graue Märkte“ für stark nachgefragte Produkte zu schaffen und am Ende der Befristung starke Inflationsschübe zu verursachen. Dennoch willigte schließlich die ÖVP, wohl wider besseres Wissen und vor allem aus Gründen der politischen Taktik (aber auch um den Preis einer höheren Weizenabgeltung für die Bauern) ein, diesem „Preisbestimmungsgesetz“ im Plenum des Nationalrates zuzustimmen, was dann auch tatsächlich am vergangenen Sonntag geschah. Vertreter der SPÖ hingegen — allen voran der Innenminister — begannen mittlerweile, die Wirkung der „Wunderwaffe“ Preisbestimmungsgesetz her. unterzuspielen. So referierte Innenminister Rösch vor dem SPÖ-Bundesfrauenkomitee, daß das Preis-bestimmungsgesetz, das für die Zeit der Einführung der Mehrwertsteuer gelten soll, keine Wunderwaffe sein werde, wohl aber ein Instrument, mit dem die Preisauftriebstendenzen in erträglichen Grenzen gehalten werden können. Erträglich, so meinte Rösch wörtlich, sei dabei noch ein Preisauftrieb bis zu sechs Prozent.

Rösch hat recht: Mit dem Instrument des Preisbestimmungsgesetzes lassen sich nicht die Folgen der konjunkturwidrigen expansiven Wirtschaftspolitik der SPÖ-Regierung auf das Preisniveau in Österreich verhindern. Wohl aber sind die von der ÖVP im Zuge der Verhandlungen um die Zustimmung zum Preisbestimmungsgesetz erkämpften Sonderregelungen geeignet, noch schärfere Inflationstendenzen zu verhindern. Dazu zählt vor allem die nach langem Drängen der Bundesregierung abgerungene Zusicherung, bis Ende 1973 weder die öffentlichen Abgaben noch Monopolpreise zu erhöhen. Freilich wird diese Zusicherung nichts daran ändern, daß die jahresdurchschnittliche Inflationsrate in diesem Jahr weit über der vom Institut für Wirtschaftsforschung prognostizierten Inflationsrate von 4,5 Prozent liegen wird. Darauf deutet nicht nur die Rekordsteigerungsrate von 6,4 Prozent im Juni 1972, sondern auch die im Herbst 1972 zu erwartende neue Teuerungswelle. Eine „Vorleistung“ erhielten Österreichs Hausfrauen schon in dieser Woche mit der Erhöhung des Zuk-kerpreises um 40 Groschen pro Kilogramm. Im Herbst ist im Anschluß an die vor wenigen Tagen fixierte Weizenpreiserhöhung mit einer Verteuerung des Mehls um 15 Groschen pro Kilogramm zu rechnen, was wiederum entsprechende Auswirkungen auf die Preise für Brot und handgeformtes Gebäck haben muß. Darüber hinaus, und unabhängig von den Bestimmungen des Preisregelungsgesetzes, werden mit Wirkung vom 1. Jänner 1973 die Frachttarife der Bundesbahnen angehoben, wobei Verkehrsminister Frühbauer heute noch nicht garantieren kann, daß die Personentarife der ÖBB gleicbble1-ben.

Diese mit der Regierung koordinierten Preis- und Tariferhöhungen zeigen eines deutlich: Das neue Preisbestimmungsgesetz wird die inflationistische Welle in Österreich nicht einmal kalmieren. Zwar sieht dieses eben beschlossene Gesetz vor, daß derjenige, der sich bei seiner Preisbildung nicht an die Richtlinien des Gesetzes hält, mit 50.000 Schilling oder Arrest bis zu drei Monaten bestraft werden kann: Aber wer in Österreich kann und will schon gegen die Regierung einen Prozeß wegen ihrer inflationierenden Preis-, Tarif- und Wirtschaftspolitik anstrengen?

Also beläßt man es beim untauglichen Instrument des Preisbestimmungsgesetzes. Dessen Wirkungslosigkeit wurde zuletzt mit der Festsetzung von Höchstpreisen für Fleisch- und Wurstwaren bewiesen. Denn was geschah? Fleisch- und Wurstfabrikanten, die der Administrierung nicht unterliegen, erhöhten unter Hinweis auf die gestiegenen Preise auf den internationalen Märkten die Großhandelspreise. Diese Maßnahme hätte die Einzelhändler wiederum dazu gezwungen, mit Verlust zu kaufen, was indes nicht geschah, sondern zu einer Reduktion des Warensortiments der Fleischhauer insbesondere bei Wurst führte. „Lieblings“- Wurstsorten wurden folgerichtig unter dem Ladentisch zu erhöhten Preisen verkauft — und Wien hatte, was es nur nach dem Krieg erleben mußte: einen „grauen“ Wurstmarkt.

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