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Hinter den Klischees steckt Abwehr

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14. April, 20 Uhr 30, Wien-Alt Er-laa, Diskussion „Gewalt in der Familie“; wenige verbittert schweigsame Frauen, eine Uberzahl aggressiver Männer.

„Die Frauen empfinden ja bereits Blicke als Gewalt“, definiert , einer Alice Schwarzers Beobachtung in der Zeitschrift „Emma“ als unberechtigte Behauptung. Fast beleidigt beklagt er weibli-

che „Uberempfindlichkeit“. Ich versuche zu erklären, was Belästigung bedeutet, was Bedrohung. Er versteht nicht, wünscht sich gar, daß frau so viel Selbstbewußtsein haben möge, daß ihr Auszieh-Blicke nichts anhaben. Und ihrem Partner? Da wird er stutzig, das geht natürlich nicht, dem Mann was wegschauen.

Was fällt einem zu „Blick“ ein: die Augen als „Spiegel der Seele“, der „böse Blick“, „wenn Blicke töten könnten“. Lassen wir Erinnerungen aufsteigen, Erfahrungen mit Blicken und spüren wir die Gefühle, die sie in uns ausgelöst haben — und versuchen wir einmal uns in unser Gegenüber hineinzuversetzen. Wie sehen uns die anderen? Sehen uns die anderen, soll heißen: nehmen sie uns wahr?

Wahrnehmen bedeutet für mich: erkennen, wie jemand ist, ihn in seiner Ganzheit sehen, nicht nur das Starke, sondern auch das Schwache — nicht nur das, was ich mag, was mir keine Angst macht, sondern auch das Bedrohliche,

Fremde, ganz andere.

Wie werden Frauen wahrgenommen?

Idealisiert als Jungfrau oder Mutter, verachtet als Schlampe, abgewehrt als Emanze, gelobt als Samariterin, dämonisiert als „Domina“? Je einseitiger eine Geisteshaltung, desto mehr wird die gegenseitige abgewehrt, wissen Tiefenpsychologen. Sagt also die Bevorzugung eines bestimmten Wahrnehmungsinhalts nicht mehr über den Beobachter denn seinen „Blickfang“ aus?

Einverstanden, auch Frauen sind nicht gerade kleinlich, wenn es darum geht, verächtliche Blik-ke aufzusetzen. Wie leicht fällt es uns, die Seiten zu verleugnen, abzuspalten, die wir nicht gerne an uns haben!

Psychoanalytiker fragen sich dann immer: „Was wird damit abgewehrt?“

Was also wehren Frauen ab, wenn sie nicht so sein wollen, wie Herrenmagazine und sexistisch-neckische Werbung sie präsentieren? Und was wehren Männer ab, wenn sie Frauen gerne so „wahrnehmen“, wie sie dort vorgestellt werden?

Die abgewehrten Eigenschaften werden oft raffiniert getarnt: Mutterglück oder erfolgreiche Karriere verdecken oft die suggerierte Verfügbarkeit, im Hintergrund nur lächelt der wählende Mann (Konsument?).

Männerträume? Oder ein subtiles Ansprechen der Kleinmädchenwünsche nach dem absenten Pappi?

Und die Männer? Was wehren sie ab in ihrer Sehnsucht nach „Bunny“ oder „Domina“?

Angela Carter schreibt in dem Band „Sexualität ist Macht“:

„... hat zur Folge, daß Prostituierte die Lieblingsheldinnen des pornographischen Autors sind, wobei dem materiellen Aspekt ihrer Tätigkeit, dem in der Realität ihre Hauptsorge gilt, eine völlig untergeordnete Rolle zukommt. Ihre Plackerei ist ihre Privatangelegenheit. Arbeit ist in diesem Zusammenhang wirklich schmutzig, ist etwas Anstößiges, ja Unaussprechliches, das nicht erwähnt werden darf, weil j a sonst die Probleme der realen Welt wieder ins Spiel kämen...“

„Domina“ beim Fensterputzen? „Bunny“ beim Essigpatscherlwickeln? Spüren wir in dieser Realitätsabwehr den Ärger des kleinen Buben über die „nicht verfügbare“ Mutter, über das stereotype „etzt hab ich keine Zeit“? „Bunny“ als Gloriole der spielenden Mutter, „Domina“ der

strafenden? Gibt es keine andere Möglichkeit, Frauen in ihrem Ganzsein „wahrzunehmen“?

Wahrnehmen heißt „als wahr“ nehmen, eine Bedeutung herausfinden, Sinn geben.

Können wir mit einem Blick „wahrnehmen“? Ist Wahrnehmung nur in Form von Schwarzweißmalerei möglich? Oder wagen wir uns endlich in eine Beziehung hinein, trauen wir uns, einander zu erkunden, zu „erkennen“?!

Sich auch als Frau von polaren Zuschreibungen wie Held oder Waschlappen zu trennen, eine Beziehung zu leben mit ihrem täglichen, stündlichen Wechselspiel, Höhen und Tiefen, „in guten wie in schlechten Zeiten“. Wahrnehmen: wie stehen wir gerade zueinander, was ist hier und jetzt eben los, wie gehen wir damit um.

Das heißt aber auch: sich stellen, wie werde ich gesehen, wie sehe ich den Partner, was phantasieren wir voneinander, was wollen wir ändern, wie können wir etwas ändern.

Meine Wunschvorstellung heißt: sich in Beziehung setzen, ansprechen, nachfragen. Verbote oder Strafen sind für mich daher ungeeignete, aber bequeme Versuche, die Konfrontation mit Verhaltensweisen, Erscheinungen, die Angst machen oder andere unerwünschte Gefühle - etwa auch Lust! — auslösen, zu vermeiden.

Schon Kinder ihrer Aufnahmebereitschaft entsprechend zu informieren, sich Fragen und Diskussionen zu stellen, ehrlich zu sein, zuzugeben, daß wir uns schämen, wenn wir uns schämen, daß wir Angst haben, wenn wir Angst haben, daß wir Lust empfinden, wenn wir Lust empfinden. Wahr sein.

Die Autorin ist Juristin und Sozialthera-

geutin und Mitarbeiterin bei der Wiener exualberatungsstelle.

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