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Ideologie - was ist das?

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Unter einem nicht gerade glücklichen Stern stand der Beginn der Bregenzerwälder Kulturtage, die traditionellerweise mit einer Vortragsreihe und einer Diskussion den Auftakt nahmen. So mußte Kardinal König, von dem man als einem der vier Redner Wesentliches zum Grundsatzthema „Ende oder Wiedergeburt der Ideologien“ erwartet hatte, absagen. Und dann erweckte Landeshauptmann Dr. Herbert Kessler mit seiner Eröffnungsrede bei einem Teil der Vorarlberger Kulturschaffenden Widerspruch, als er meinte, daß sich diejenigen, die zwischen „Hochkultur“ und „Subkultur“ unterscheiden, in ideologisch gefährlichem Fahrwasser befänden. Solchen Strömungen, meinte Kessler, müsse man bereits in den Anfängen wehren.

Als erster Referent sprach Univ.-Prof. Dr. Robert Spaemann, München-Salzburg, zum Thema „Was sind Ideologien und wozu sind sie gut?“ Spaemann ging davon aus, daß wir in

einer Zeit lebten, in der das Normale zum System erhoben werde - nur funktioniere dieses System nicht nach den Grundsätzen, die man sich vorstelle. Die dadurch bedingte Unsicherheit

hätte dann auch zur Ideologiediskussion geführt. Spaemann unterschied hier das Lustprinzip, das permanenten Fortschritt suche, und das Realitätsprinzip, das den Zustand der völligen Sicherheit anstrebe. Im ersten, meinte Spaemann, dokumentieren sich die Wurzeln der linken, im zweiten die der rechten Ideologien. Mit beiden allerdings, glaubt Spaemann, ist ein Verlust an Wirklichkeit verbunden, denn beide Ziele, sowohl völlige Freiheit als auch totale Sicherheit, seien letztlich nicht erreichbar. So gesehen stellen

Ideologien für Spaemann einen Ausgleich der Wirklichkeit dar.

Uber „Konservativismus als Ideologie“ sprach dann Univ.-Prof. Dr. Julien Freund, Straßburg. Ähnlich wie

Spaemann charakterisierte er die Ideologie als Abstraktion der Wirklichkeit. Wenn vielfach behauptet werde, daß sich der Konservativismus dem Fortschritt entgegenstelle, so sei das leicht zu widerlegen: den Fortschritt gebe es in diesem Sinne gar nicht Das sei nur ein Aberglaube, der von der Aufklärung geschaffen worden sei. Es lasse sich leicht belegen, erklärte Freund, daß der Mensch immer derselbe bleibe, daß sich ausschließlich seine Fähigkeiten entwickeln. Der Konservativismus hingegen gehe davon aus, daß

man das bisher Geschaffene nicht nur erhalte, sondern vor allem benütze. Und damit unterscheide sich der Konservativismus grundsätzlich von einer Ideologie, er sei schlicht und einfach die Wirlichkeit, die Antwort auf neue Fragen suche.

Am Sonntag sprach Univ.-Prof. Dr. Nikolaus Lobkowitz, München, über „Marxismus als Ideologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts, eine Anziehungskraft - und seine Gefahr“. Für den verhinderten Kardinal König sprang Weihbischof Florian Kuntner ein, der seine Thesen konkret am Beispiel des Christentums abhandelte. Nicht Ideologien benötigten wir heute, meinte Kuntner, sondern erlebtes Beispiel aus christlichem Glauben. Wichtiger als jede Ideologie sei das alltägliche Handeln, das Bejahen des Menschen. Diese Forderung richtete er aber auchan die Kirche, die „als pilgernde Kirche der Armut“ hier vorangehen sollte.

Den traditionellen Abschluß der

Vortragsreihe der Bregenzerwälder Kulturtage büdete heuer wieder eine Podiumsdiskussion. Dabei trat wohl auch das zutage, woran diese Veranstaltung seit Jahren krankt. Üblicherweise lebt eine Diskussion davon, daß Gegenpole geschaffen werden, daß der These des einen die Antithese des anderen gegenübergestellt wird. Bei dieser Diskussion fehlte aber die Antithese. Die Diskussionsteilnehmer vertraten im Grundsätzlichen nahezu die gleichen Auffassungen. Abweichungen gab es nur in Detaüs, und über die wurde dann diskutiert. Mehr Leben kam erst in die Versammlung, als auch das Publikum einsteigen durfte. Aber auch hier gab es noch Probleme. Als ein ideologisch anders Orientierter Kritik anbrachte, wurde ihm schlicht das Wort entzogen. Eine Antwort blieb aus. Und das scheint, wenn man Weihbischof Kuntner folgen will, hoffentlich doch nicht der Weg „des alltäglichen Handelns“ zu sein.

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