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„Im Kern christlich..

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„Im Kern christlich” sei die große Oppositionspartei, hörten wir beim Fernseh-Rededuell Taus-Kreisky. Man hätte sofort fragen mögen: Was heißt das, und was bedeutet es?

Wenn es nur heißt, daß die „Stammwähler” größtenteils Christen sind, dann bedeutet es wohl nur, daß die Politiker auf ihre Überzeugungen Rücksicht nehmen und ihre Rechte vertreten müssen. Etwa jene im Konkordat festgelegten. Wenn „… im Kern christlich” aber heißt, daß eine christliche Grundhaltung für die Partei selbst konstitutiv, und daß sie für deren öffentliches Wirken bestimmend ist, dann bedeutet das viel mehr; sie müßte ausschlaggebend sein für die Festsetzung der Prioritäten in der Politik; dann müßte allen Entscheidungen dieser Partei christliche Ethik zugrunde liegen, welche die Würde des Menschen mehr in seinen Pflichten als in seinen Rechten erblickt. Zur christlichen Ethik gehört wesentlich auch die Maxime: Lieber Unrecht leiden als Unrecht tun; sie ist absolut unvereinbar mit der alten Ausrede, daß der Zweck die Mittel heüigt!

Von den Menschenrechten wird viel gesprochen in aller Welt und es wurde als ein großer Fortschritt empfunden, daß sie in einer „Charta” aufgezählt und von so vielen Nationen garantiert worden sind. Leider nur auf dem Papier. Noch mehr Schindluder getrieben als mit diesem Begriff wird nur noch mit der Menschenwürde. Er hängt völlig in der Luft in unserem Zeitalter des Pluralismus, in dem kaum noch Übereinstimmung über die Grundwerte besteht

Für jeden Christen müßte klar sein, daß er seine Würde nur durch sein eigenes, unwürdiges Verhalten, durch die Sünde, einbüßen kann. Nicht der Sklave, der dem ungerechten Herrn diente, verlor die höchste Menschenwürde, ein Christ zu sein, sondern der Herr, der im Sklaven nicht seinen Bruder achtete, so er ihn mißhandelte.

Im bürgerlichen Leben noch galt es als würdelos, einem Mächtigen zu schmeicheln. Auch hinter dieser Auffassung steht die Ansicht, daß der Wert eines Menschen von seinem eigenen ■^erhalten, nicht von der Gunst des sozial Überlegenen abhängt, obwohl diese für das praktische Leben sehr wichtig sein kann.

Wenn aber heute schon der bloße Respekt und der Ausdruck der Ehrer bietung vor dem Älteren, dem Höhergestellten, dem Lehrer als unvereinbar mit der Würde empfunden wird, dann ist eine Pervertierung der christlichen Auffassung eingetreten, die sich etwa auch darin zeigt, daß es eher als würdelos empfunden wird, ein Geschenk, eine Wohltat anzunehmen, als sich ein „Recht” durch falsche Angaben zu erschleichen! Gibt es noch Eltern, die ihren Kindern erklären, daß es würdelos ist, eine Zeitung mitzunehmen, ohne zu zahlen, „schwarz” zu fahren, aber auch, mit Besitz oder Titel der Eltern zu protzen? Die Schulbuchaktion wurde unter anderem mit dem Hinweis gerechtfertigt, man könne die ärmeren Kinder nicht dadurch „diskriminieren”, daß sie gebrauchte Bücher benützen! Besorgte Mütter müssen sich dann wohl fragen, ob sie ein Kind nicht „diskriminieren” - und das heißt ja wohl: in seiner Würde kränken -, wenn sie es den Mantel des großen Bruders auftragen lassen. Also weg damit, in die Mülltonne! Wegwerfgesellschaft als Ausfluß der Menschenwürde? Prinzipieller Ungehorsam als Ausfluß der Menschenwürde? Konsumsteigerung als Menschenrecht?

Oder trauen wir unseren Mitbürgern immer noch so viel echte Würde zu, sie für imstande und gewillt zu halten, auch einmal gegen ihr persönliches Interesse zu entscheiden, wenn es um das Gemeinwohl, um die Gerechtigkeit oder auch „nur” darum geht, den Nachkommen eine bewohnbare Erde zu hinterlassen? Die Fähigkeit, das als richtig Erkannte zu tun, auch wenn es einen augenblicklichen Nachteil mit sich bringt, unterscheidet den Menschen vom Tier, begründet also seine besondere Würde.

Was, bitte, war gemeint mit „ … im Kern christlich”?

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