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Isl Hoffuung geschichfsrictig?

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Wenn heute in der Kirche und unter Christen immer eindringlicher die Forderung nach Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, nach Achtung der Menschen- und Bürgerrechte erhoben wird, wissen denn die Christen eigentlich, in welcher Geschichtsbewegung sie sich befinden? Haben denn nicht alle drei europäischen Modell-Revolutionen, die Englische, die Französische und die Russische diese Forderungen an ihre Fahnen geheftet, sie aber, wenn schon nicht verraten, so doch nur annäherungsweise erfüllt? 1649,1789 und 1917 aber glaubte die Mehrheit der Christen, sich gegen die Verwirklichung dieser Forderungen vor allem deswegen wehren zu müssen, weil sie von erklärten Gegnern der Kirche, ja des Christentums überhaupt erhoben wurden. Dabei haben sie selber ebenso wie die anderen offenbar übersehen, daß es sich bei diesen Postulaten nur um die Konsequenzen aus der christlichen Botschaft handelt. Bietet sich in dieser Geschichtsstunde den Christen endlich eine reale Chance, diese unveijährbaren Forderungen unmittelbar vom Evangelium her glaubwürdig zu verkünden und zu verwirklichen? Jedenfalls ist in der heutigen geschichtlichen Konstellation Hoffnung geschichtsrichtig.

Wenn sich heute im Westen die Kirche nach der Aufklärung, nach bürgerlichem Liberalismus, marxistischem Sozialismus und - im deutschsprachigen Raum - nach dem Nationalsozialismus einem fünften Säkularisierungsschub gegenübersieht, dem einer hedonistischen Wohlstandsgesellschaft, sind sich die Christen im Klaren, daß sie sich damit bereits in einer Situation befinden, welche die Re-Evangelisierung und damit die schrittweise Ablösung der Volkskirche durch eine Bekenntniskirche erfordert? Diese neö-urchristliche Vorfindlichkeit ist aber zu- sammerizusehen mit der Entscheidung des Zweiten Vatikanischen Konzils, einerseits dem Laien die volle Mündigkeit, andererseits den weltlichen Sachbereichen eine relative Eigengesetzlichkeit zuzuerkennen. Sie legitimiert die Weltchristen, die Laien, in einem Augenblick, da die Säkularisierung bald an ihr Ende gekommen sein wird, die geschichtlichen Bedingungen für das Kommen des Reiches Gottes ständig zu verbessern; denn nur von neo-urchristlichen Basen aus kann diese verweltlichte Welt Stück um Stück wieder durchheiligt werden. Auch diese geschichtliche Konstellation birgt in sich Hoffnung.

Ähnlich scheint die philosophische Entwicklung an ein Ende gekommen zu sein. Seit d6r Aufklärung ging es den Philosophen immer mehr um ein sicheres, möglichst irrtumfreies Erkennen und Beherrschen der Welt. Der Glaube widersprach nicht nur diesem Wissenschafts- und Erkenntnisideal, sondern eine Anerkennung Gottes stand auch im Widerspruch zur Freiheit und Würde des Menschen. Das dahinterstehende Welt- und Menschenbild wurde aber bereits um die Jahrhundertwende in Frage gestellt, indem versucht wurde, miLeiner phänomenologischen Methode wieder den Zugang zum Glauben zu eröffnen. Dies versucht vor allem der dialogische Personalismus. Er will eine menschliche Grunderfahrung reflektieren, in der sich die Begegnung mit Gott ereignet. Es ist die interpersonale, die Du-Erfahrung, durch die das menschliche Ich erst aus seiner Ich-Einsamkeit befreit wird und wahrhaft zu sich selbst kommt. Das dialogische Denken - Ferdinand Ebner, Martin Buber, Franz Rosenzweig und Gabriel Marcel sind hier zu nennen - ist auch der Schlüssel zum Verständnis des biblischen Denkens. Viele Grundanschauungen der Offenbarung wie der Bund zwischen Gott und Mensch, die Versöhnung, die Liebe als Hauptgebot, der Erlösungstod Jesu sind, weil interpersonale Beziehungen, im Grunde nur einem dialogischen Denken zugänglich. Diese Wendung von einer Es-Philosophie zu einer Du-Philosophie, die am Ende eines langen, mühsamen, von vielen Irrtümern begleiteten Denkweges steht, könnte einer christlichen Philosophie und der Theologie wieder die Möglichkeit geben, suchenden Menschen der Gegenwart einen Zugang zur persongewordenen Wahrheit zu eröffnen. Wieder erweist sich Hoffnung als geschichtsrichtig.

Prof. Dr. Ignaz Zangerle ist Erwachsenenbildner in Innsbruck

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