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Kirche ohne Politik?

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Viele Facetten hat das Bild des gesellschaftlichen Wirkens der Kirche in kommunistischen Staaten. Der Prozeß der Veränderung in Osteuropa wird von unterschiedlichen politischen Kräften stark forciert. Manchmal hat man den Eindruck, als ob der Kirche bei dem schnellen Lauf der Atem ausginge.

Soll die Kirche eigentlich gesellschaftspolitisch wirken? Kann sie sich überhaupt von einem solchen Auftrag absentieren, zurückziehen in die reine Frömmigkeit?

Katholische Publizisten aus Ungarn, Polen, der Deutschen Demokratischen Republik, aus Jugoslawien und aus Österreich befaßten sich unlängst (siehe Leitartikel FURCHE 11/1989 und auch Seite 14) in Opatija (Abbazia) an der jugoslawischen Adriaküste mit diesen Fragen. Dabei entwickelte sich rasch eine Kontroverse darüber, was mit politischem Engagement eigentlich gemeint sei beziehungsweise was dieses sein darf — von den Grenzen her gesehen, die totalitäre Systeme setzen, die Rom selbst (beispielsweise bei der Befreiungstheologie) zieht, die sich aber auch in den Köpfen der Kir-

chenverantwortlichen eingenistet haben.

Daß die Verantwortung der Kirche für den Menschen nicht am Kirchenportal enden darf, hielt der Sozialethiker Johannes Schasching — FURCHE-Lesern unter anderem aufgrund seiner Beiträge über die Enzyklika „Sol- licitudo rei socialis“ bestens bekannt - den Publizisten vor Au-

gen. Dabei sei sie historisch einerseits Kontrastgesellschaft, andererseits aber auch tausendfach in die abendländische Gesellschaft eingegliedert gewesen. Der Auszug aus der institutionellen Präsenz — zwangsweise im Osten, durch den Säkularismus im Westen — werde aber von der Kirche heute nicht mehr zurückgenommen.

Vorsichtig formulierend wies Schasching darauf hin, daß die Kirche — wo immer sie steht — um ihren gesellschaftspolitischen Einsatz nicht herumkommt.

Daß dabei die Grenzen zu konkreter Politik fließend sind, wur-

de in der folgenden Diskussion klar. Sie entzündete sich an der Frage, warum die Kirche in Lateinamerika keine, die in Polen aber sehr wohl ,.Politik“ betreiben dürfe. Wobei polnische Kollegen es weit von sich wiesen, das Engagement der Kirche in Polen als politisch zu kennzeichnen.

Da war die Position der Freunde aus der DDR viel klarer. Kirchliche Arbeit — es geht hier um die katholische Kirche - vollzieht sich unter strikter Trennung von Kirche und Staat. Dabei steht fest, daß für die Gläubigen damit die Gesellschaft zum „Konfliktfeld“ wird, weil ja den Verhältnissen in Staat und Gesellschaft irgendwie Rechnung getragen werden muß.

Wie sehr Möglichkeit und Realität im kirchlichen Leben auseinanderklaffen können, zeigte der Bericht eines ungarischen Kollegen. Den fast unglaublichen Änderungen auf politischem Gebiet in Österreichs Nachbarland entspricht die Kirche zwar in theoretisch-visionären Erörterungen. Die Frage bleibt, wann denn mit der Erfüllung konkreter sozialer Aufgaben, die der (noch) kommunistische Staat selbst wünscht, endlich begonnen wird.

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