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Knüppel und Demonstranten

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Kürzlich wurde in Jerusalem der 28. Kongreß der „Zionistischen Weltorganisation“ feierlich eröffnet. Außer den Gästen kamen zu dem Kongreß 550 Delegierte, die 900.000 eingeschriebene Zionisten unter den 14 Millionen Juden der ganzen Welt vertreten. Die Zionisten unter den Juden des deutschen Sprachgebiets gliedern sich in 1502 der 8200 Juden Österreichs, 5000 der insgesamt 20.000 Juden der Schweiz, 2530 der insgesamt 30.000 Juden der Bundesrepublik Deutschland.

Dieser Kongreß ist sozusagen das Parlament einer jüdischen politischen Weltorganisation; die eine Losung der jüdischen Probleme in der Ansiedlung des größten Teils des Volkes in Israel sieht. Dies ist auch der Grund, weshalb sich dieser Kongreß — ähnlich wie die vorangegangenen — hauptsächlich mit Fragen der Einwanderung nach Israel (vor der Staatsgründung im Jahre 1948 nach Palästina), Eingliederung in Israel, Bekämpfung des Antisemitismus und ähnlichen Problemen beschäftigt. Die Zionisten sehen im Judentum nicht nur die mosaische Religionsgemeinschaft, sondern auch eine Nation mit allen Merkmalen einer solchen.

Der 1. Zionistische Kongreß tagte im Jahre 1897 in Basel, unter dem Vorsitz des Begründers des politischen Zionismus, Dr. Theodor Herzl.

Nach der Gründung des Judenstaates (1948) schwand die Bedeutung der zionistischen Weltorganisation und ihrer Institutionen. Sie wurde hauptsächlich zu einem Hilfsmittel des israelischen Staates. Ihre Aufgaben bestanden im Sammeln von Spenden unter den Juden der Diaspora in der Förderung der Einwanderung nach Israel, und in der Tätigkeit als Propagandaorgan.

Trotz der feierlichen Eröffnung wurde nunmehr der 28. Kongreß in Jerusalem von Mißtönen begleitet. Dr. Nahum Goldmann, der langjährige Präsident des Zionistischen Weltkongresses, sollte die Eröffnungsrede halten. In letzter Minute wurde er schroff abgelehnt und nicht einmal offiziell eingeladen. Dies deshalb, weil er bei einem Bankett in London erklärt hatte: „Die Auswanderung nach Israel ist nicht die einzige Lösung der Judenfrage der Sowjetunion, man muß außerdem für das nationale Leben der dort zurückgebliebenen Juden sorgen.“ Eine Ansicht, die bei den Gremien der Zionistischen Weltvereinigung nicht populär ist und zu Goldmanns Ausschluß vom Kongreß führte.

Trotzdem forderten beim Eröffnungsabend Mitglieder der links-sozialistischen Mapam stürmisch die Wiedereinladumg des greisen ehemaligen Präsidenten.

Mehr als 400 Polizisten, mit Knüppeln, Stahlhelmen und Schutzschilden gewappnet, mußten den Eingang des Kongreßsaales vor Demonstranten aus den Reihen der „Schwarzen Panther“ und linksradikaler Gruppen schützen. Diese bestanden zum größten Teil aus Jugendlichen, die vom Kongreß verlangten, daß er ihre Vertreter zulasse. Sie wollten die sozialen Probleme der wirtschaftlich zurückgebliebenen Schichten vorbringen. 34 der jugendlichen Demonstranten wurden festgenommen und verblieben in Haft.

Bis vor wenigen Jahren wurden die Zionistenkongresse von der breiten Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Als jedoch vor rund vier Jahren eine Kampagne für die Auswandwcmg 'der Juden aus der1 Sowjetunion;, einsetzte, wurde die: zionistische Bewegung zu neuem

Leben erweckt. Mitglieder zionistischer Jugendverbände organisierten in der ganzen Diaspora Demonstrationen gegen die Sowjetunion unter dem Motto: „Let my people go“ (Laß mein Volk ziehen). Dies begann nicht mit Willen des zionistischen Establishments, sondern auf Initiative rechtsradikaler Kreise, die dann schnell von anderen Gruppen aufgegriffen wurde.

Wie von einer Lawine wurden immer mehr jüdische Kreise aller Richtungen erfaßt, so daß heute kaum ein sowjetischer Prominenter oder eine russische Künstlergruppe irgendwo im Westen auftreten können, ohne jüdische Begleitmusik nach der immer gleichen Weise: „Let my people go“. Einer der Initiatoren dieser antisowjetischen Kampagne war die faschistoide Splittergruppe „Liga zur jüdischen Verteidigung“, deren Führer, Rabbi Meir Kahana, nun auch auf dem Kongreß auftreten wollte. Aber auch er wurde ausgeschlossen.

Die Beschlüsse des Kongresses wurden zumeist in kleinen Kommissionen ausgehandelt. Die Funktionen der Zionistischen Weltorganisation, die erst dieser Tage von der Sowjetpresse wieder einmal als „einer der Arme des Imperialismus“ verschrien wurde, haben sich aber noch lange nicht erschöpft.

Aus steuerbedingten Gründen darf ein souveräner Staat nicht für sich selbst in anderen Ländern sammeln. Israel muß dies den zionistischen Verbänden überlassen. Aus politischen Gründen zieht es Israel daher auch vor, daß Vertreter der zionistisehen Organisationen für die Einwanderung in den Judenstaat werben, nicht aber die offiziellen Abgesandten des Staates.

Die Zionisten sorgen auch in ihren Ländern für jüdische Erziehung, den Austausch jüdischer Lehrer, den Unterricht in der Nationalsprache Hebräisch und für vieles andere, um den nationalen Charakter der Juden in der Diaspora zu erhalten.

Hätte man von dem Kongreß weittragende Beschlüsse erwartet, wäre er überfordert gewesen. Dient er doch nur als Wegweiser für die zionistischen Organisationen in den verschiedenen Ländern. Nach dem Sechstagekrieg aber hat es sich erwiesen, daß der schon totgesagte Zionismus, den man sogar in Israel nur noch in Anführungszeichen erwähnte, zu neuem Leben erwacht ist.

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