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Laurins Garten

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Verlockt durch einige Pfeile, die im Ort verstreut an Bäume genagelt oder an Zäune gebunden waren, fuhren wir zögernd mit dem Wagen durch das offene Gittertor, zu dem wir gewiesen wurden, reversierten vor einer riesigen Glashalle und kamen im Schatten eines vorspringenden Daches zu stehen. Eine junge Gastarbeiterin kam über den Hof, und als wir sie fragten, sagte sie, die Rosenschau sei geschlossen, wir kämen um zwei Tage zu spät. Dabei lachte sie, denn sie war stolz auf ihre goldenen Schneidezähne. In südlichen Gegenden ihres Landes gilt das als sicherste Mitgift, und manches Mädchen läßt sich einen gesunden Zahn reißen, um einen goldenen mehr zu bekommen. So lachte sie also, denn sie hatte allen Grund dazu, wischte sich die Hände an den Rock und ging weiter.

Die Türe zur Glashalle stand halb geöffnet. Wir stiegen aus und traten seitlich gehend, ohne an das Tor zu streifen, in die dunkle Halle. Ein dichter, schwerer Duft schlug uns entgegen und umhüllte uns ganz, kaum daß wir einige Schritte zögernd gegangen waren: der Geruch von zehntausend hinsterbenden Rosen. Man spürte ihn wie öl durch die Nasenflügel ziehen, in Schlieren sich durch das Gehirn ins Innerste ergießen. Rosenduft erfüllte uns wie ziehende Nebel, wallend aus Wäldern von Rosenbäumen, aus wuchernden Gesträuchen, aus Mooshügeln und Teichböschungen von Rosen, aus Inseln, aus Laubengängen, Girlanden und Labyrinthen von lauter Rosen. Widerspruchslos hingegeben tasteten wir und wankten endlich über die gewundenen Wege, auf denen der Schritt sich in weichen Teppichen von Rosenblättern verlor. Ausgegossen war alle Pracht dieses Sommers. Nichts mehr war zu vernehmen, kein Laut, kein Klang, kein Zirpen, kein Atmen. Alles war nur noch Duft von Verfall, der keinen Gedanken, keinen Widerspruch, nur noch ein großes trauriges Staunen zuließ.

Der braune Humus in den Beeten war von der ständigen Berieselung mit Wasser vollgesogen. Die Sitzflächen der Bänke neben den Wegen waren überschüttet von feuchten

Blütenblättern. Aus hundert verschiedenen Farben waren sie gemischt, die noch vor ein paar Tagen auf getrennten Stielen in Blüte gestanden hatten: Bengalen neben Teehybriden, Polyantharosen neben Damaszenern, Parkrosen, Heckenrosen, Kletterrosen. Meine Finger fuhren durch diese bunten, bräunlich angefaulten Daunen des Glücksvogels, während ein leiser Regen auf uns niedersprühte. Hinter den verfallenen Arkaden des Rosengartens waren die Wasserleitungen der Regenanlage zu erkennen. Gefüllte Wassereimer standen umher, Nylonrollen waren ausgebreitet über einzelne Stöcke, die noch lebten.

Eine unversehrte weiße Rose pflückte ich vom Stiel. Sie war über und über besprüht mit frischem Wasser und fühlte sich in meinen Handschalen kühl an wie das Gesicht einer toten Prinzessin. In meiner Brusttasche spürte ich sie durch den Stoff von Jacke und Hemd hindurch bis auf die Haut. Verwirrt durch den übermächtigen Duft ringsum ging man in wehrloser Trauer durch diese Schau der Zerstörung, der Hinfälligkeit, der blühenden Selbstentäußerung, watete durch einen Sumpf von Seligkeit, daß man aus eigener Kraft kaum fähig war, nach dem Ausgang ins befreiende Licht des Herbstes zu tasten. Eine Bogenlampe im Giebel der Halle begann zu blinken und erlosch endlich ganz. Dichter wurde das Dunkel. Wir sahen uns an.

Da kamen lachend und plaudernd einige Gastarbeiterinnen in die Halle, traten mit hohen Gummischuhen in die Beete und machten sich daran, die kunstvoll gruppierten Rosenstöcke auseinander zu zerren, schütteten die Wassereimer auf die Wege und fuhren mit Strohbesen in den bunten Schnee von Rosenblättern. Eine von ihnen rieb sich die Hände an dem Rock und öffnete lachend das große, halbangelehnte Tor der Halle.

Wir taumelten hinaus ins Freie. Kühl schien uns die große Herbstsonne ins Gesicht und wusch uns die Duftnebel aus Augen und Haaren. Wir blickten um uns, lachten und atmeten laut. Denn gefangen in diesem Rosengarten, hatten wir einander nicht mehr erkannt, waren in seinem übermächtigen Duft nicht fähig gewesen zu denken, zu lachen oder zu fragen in welchem Jahrhundert wir lebten.

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