Kardinal Schönborn und die Evolution: Mehr Neugier, bitte!

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Anmerkungen zur - von Kardinal Schönborn entfachten - Evolutions-Kontroverse.

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Anmerkungen zur - von Kardinal Schönborn entfachten - Evolutions-Kontroverse.

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Es war ein Text fürs US-amerikanische Publikum. Auch wenn der Gastkommentar des Wiener Kardinals in der New York Times hierzulande ebenfalls zu sommerlicher Aufregung führte, so ist kaum anzunehmen, dass die scharfe Kritik Christoph Schönborns an den gottlosen "Neodarwinisten" so ausgefallen wäre, wäre sie primär an eine europäische Leserschaft gerichtet gewesen. In unseren Breiten weiß man ja kaum etwas mit dem Begriff (Neo-)Darwinist anzufangen (man spricht vielmehr von Evolutionsbiologen) - was auch etwas übers im Vergleich zum Kulturkampfland usa viel entspanntere Verhältnis zwischen naturwissenschaftlicher Biologie und Christentum aussagt: In den usa ist man nicht nur von evangelikaler Seite schnell als "Darwinist" verunglimpft, geht man von der Evolutionstheorie als einer Grundlage der modernen Biologie aus. Diesseits des Atlantiks ist es ja (noch!?) weitgehend undenkbar, dass diese Evolutionstheorie wegen fehlender Religionskompatibilität aus den Lehrplänen verschwindet oder "gleichberechtigt" neben religiös-fundamentalistische Schöpfungstheorien gestellt wird.

Doch wenn sich der Erzbischof von Wien so pointiert in eine vermeintlich fern liegende Debatte einmischt, so sind doch Fragen zu stellen: Schönborn favorisiert das Modell des "Intelligent Design", eines hinter allem in der Natur stehenden (göttlichen) Plans, und will das auch naturwissenschaftlich begründen. Widerspruch dazu qualifiziert er aber ab: "Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft."

Verräterisches Bild von Wissenschaft

Das Wissenschaftsbild, das hinter solchen Äußerungen steckt, ist verräterisch: Es geht von einem religiösen Primat über die Wissenschaft aus, die Wissenschaftsgeschichte hat aber längst gezeigt, wie wenig gut der Kirche ein Beharren auf solchem Primat bekommen ist. Kardinal Schönborn pochte in einer Reaktion auf die Kritik an seinem Kommentar darauf, dass er hier "für die wissenschaftliche Freiheit" plädiere, eben auch über "Intelligent Design" nachzudenken.

Geschenkt: Man kann und soll naturwissenschaftlich darüber diskutieren. Aber das bedeutet auch, sich dem Widerspruch zu stellen, der nicht zuletzt gerade dann aus wissenschaftlicher Redlichkeit zu leisten ist, wenn in dieser Diskussion außerwissenschaftliche Annahmen als Argumente dienen. Die Gottesfrage etwa, die hier implizit eingebracht wird, ist keine wissenschaftliche Kategorie - was überhaupt nichts damit zu tun hat, dass man jenseits aller Wissenschaft seiner Religion anhängen kann und soll. Man muss sich als Widersprechender aber auch nicht "Ideologie" vorhalten lassen - diesen Vorwurf könnte man postwendend zurückgeben.

Die hier rudimentär skizzierte "Neodarwinismus-Debatte" erinnert in vielem an die Auseinandersetzungen, die der im Dezember verstorbene, evangelikale Bibelhistoriker und Bestsellerautor Carsten Peter Thiede - den Kardinal Schönborn sehr schätzte - provozierte. Thiede behauptete etwa gegen das Gros der Scientific Community, in einem Papyrusfragment Worte des Matthäusevangeliums entdeckt zu haben, das damit älter als angenommen sei. Thiede warf seinen Kritikern ebenfalls Ideologie vor, weil es ihnen nicht in den Kram passe, dass die Schriften des Neuen Testaments doch historisch genaue Schilderungen seien. Aber Thiede operierte selbst ständig mit außerwissenschaftlichen Annahmen, indem er sich als Gläubiger auch auf die Faktizität der Bibel verließ.

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