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Menschen wie Autowracks?
Man muß es zweimal lesen, um es zu glauben: Menschen zwischen Tod und Leben als Ersatzteillager! Natürlich werden jetzt viele sagen: Da schreiben ein paar Spinner, die sich wichtig machen v/ollen. Aber haben nicht viele — mittlerweile ausgewachsene — geistige Kinder von „Spinnern“ auf ähnliche Weise das Licht der Welt erblickt: die Pornographie als Massenkonsumgut, die Ab-
treibung, die Manipulation an der Erbmasse von Mensch und Tier?
Immer gab es Vorreiter, deren Ideen zunächst lächerlich erschienen — unfaßbar! Da wir aber in einer Zeit leben, die sich durch gigantische Orientierungslosigkeit auszeichnet, genügt es, das Absurdeste und Bösartigste lang genug zu wiederholen, es von seiner ansprechenden Seite zu präsentieren — und schon wird es Teil des Alltagsgeschehens. Die Medien überschwemmen uns so lange mit dem Ausgefallenen, bis es eben banal wird.
Wer es dann wagt, an die ursprünglich negative Bewertung zu erinnern, wird als konservativ belächelt — die Ewiggestrigen...
Und so werden über kurz oder lang eben die „Neutoten“ unsere Spitäler bevölkern und zwischen Tod und Leben schwebend auf die Verwertung ihrer Kadaver warten, bis auch das letzte Stück seinen dankbaren Abnehmer gefunden haben wird. Der Wiener sagt „ausbanln“ dazu und meint damit das Verwerten noch verwendbarer Teile etwa von Autowracks.
Die Betroffenen seien ohnedies gehirntot, wird man uns beruhigen. Und Organspende sei doch eine edle, menschenfreundliche Handlung. „Niemand hat eine größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“, wird man den Christen vorhalten.
Und Moraltheologen werden
die Frage eingehend studieren und zu dem Schluß kommen, daß unter sorgfältiger Abwägung von Pro und Contra doch einiges für die Neuerung spricht. Die Kirche könne sich einfach nicht gegen den Fortschritt stellen: Kein Zurück ins Mittelalter!
Ja, so oder ähnlich wird es sein, wenn Shane und Daly längst in den Kreis der Nobelpreisträger aufgenommen sein werden.
Stimmt also alles? Nein, im Grunde genommen ist alles verkehrt. Das Nützlichkeitsdenken feiert Triumphe über die Menschenwürde. Kein Mensch weiß nämlich, was der Tod ist, wann er eintritt — es sei denn, er sei eben gestorben. Denn Sterben ist ein eminent persönliches Geschehen.
Und der Tod hat Bedeutung nur als mein Tod und als deiner. Da gibt es keine Stellvertretung, keine statistischen Mittelwerte, keine allgemeingültigen Regeln, keine kommerzielle Verwertung.
Selbstverständlich geht der Tod mit regelmäßig wiederkehrenden äußeren Zeichen (etwa dem Aufhören der Gehirntätigkeit) einher. Aber er wird mit diesen Merkmalen nicht erschöpfend erfaßt. Er läßt sich durch sie auch nicht zeitlich festlegen. Daß im Sterben mehr geschieht, als man organisch feststellen kann, zeigen
die Berichte von wiederbelebten klinisch Toten, wie sie beispielsweise von Raymond Moody gesammelt worden sind.
Der Zugriff auf das Sterben des Menschen ist eine Brutalität ohnegleichen, eine Respektlosigkeit vor der besonderen Lebensgeschichte des Mitmenschen, ein unverantwortbarer Eingriff in die Einmaligkeit jedes Sterbens.
Wer allerdings den Menschen nur als Rollenträger oder Funktionär, als statistische Größe, als Summe chemischer und physikalischer Prozesse ohne Transzendenz kennt, wird solche Bedenken zur Seite wischen — bis er selbst als „Neutoter“ am Ventilationssystem hängt.
Der zügellose technische Fortschritt, den wir gern als die große Errungenschaft der Neuzeit feiern, wird uns immer wieder neue unmenschliche Möglichkeiten eröffnen. Ganz offenkundig bietet sich die Unmenschlichkeit jedoch niemals dar: kurzfristige Nützlichkeit (die edle Organspende, die medizinischen Möglichkeiten) verschleiert die tiefgreifende Entwürdigung der Person.
Die Nützlichkeit leuchtet unmittelbar ein — und was Leben und Sterben des Menschen bedeutet, darüber herrscht Uneinigkeit. Also siegt über kurz oder lang das Nützlichkeitsargument, und der nach dem Ebenbild Gottes geschaffene Mensch gerät immer mehr ins Getriebe gesellschaftlicher Zweckmäßigkeiten.
Solcher Fortschritt ist nichts anderes als ein Fort-Schreiten von der Menschenwürde. Er nimmt uns die Lebensfreude, den Frieden, die innere Freiheit, weil er unserem Wesen nicht entspricht.
Noch leben wir von den kärglichen Resten des christlichen Menschenbildes. Es zu beleben, ist die drängendste Aufgabe gegen den Dammbruch, der sich schon längst überall abzeichnet.
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