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Moskau ohne US-Computer

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Auf die sowjetischen Terror-Urteile gegen die Dissidenten dieser Super- Macht hat es eine Reaktion Präsident Carters gegeben. Er stornierte eine Computer-Lieferung und läßt den Export von Öl-Bohrmaschinen nicht zu. Die Getreidelieferungen gehen aber weiter.

Die Herstellerfirma der Großrechenanlage, Sperry Univac, die den Auftrag im September 1977 über sieben Millionen Dollar erhielt, wird vielleicht noch ihre Lobby in Bewegung setzen, um den Auftrag durchführen zu können. Es besteht ja Gefahr, daß sich jetzt eine Wettbewerbsfirma um den Auftrag bemüht. Deren gibt es nur drei auf der Welt: die britische International Computer Ltd., die japanische Fujitsu und Siemens.

Die Sowjets brauchen den letzten Entwicklungsstand der Computer- Technologie. Für den zur Moskauer Olympiade zu erwartenden Massentourismus aus der ganzen Welt brauchen sie ein modernes Platzreservierungssystem, über das sie nicht verfügen. Was das heißt, weiß jeder, der einmal auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo auf sein Gepäck hat zwei Stunden warten müssen. Die UdSSR hat zwar 13 moderne Werksanlagen für Düsenflugzeuge, aber nur eine Fabrik für Flughafenanlagen.

Die UdSSR hat 3000 Flugplätze, aber nur 200 davon haben eine Betonpiste. Bei der Größe der Sowjetunion umfaßt das Flugnetz bald 600.000 km, die Zahl der Flug-Passagiere liegt nicht weit unter 100 Millionen. Aber die Bundesrepublik Deutschland, die nur ein Hundertstel der Fläche der UdSSR hat, konnte 1976 12 Millionen Fluggäste abfertigen. Kein Wunder daher, daß die Russen das westliche Know-how, das heißt die technische Hilfe für die Flugabfertigung im Personen- und Frachtverkehr, notwendig brauchen.

Soweit man informiert ist, arbeiten in der UdSSR 300.000 Menschen darunter 20.000 Wissenschaftler, in mehr als 70 Betrieben an der elektronischen Rechentechnik. Man weiß, daß die Entwicklung von Großrechenanlagen von den Vereinigten Staaten ausgegangen ist, denen ja auch die Miniaturisierung gelungen ist, sodaß heute schon Kinder mit elektronischen Handrechengeräten zu hantieren gewöhnt sind. Die Experten schätzen den Rückstand der Russen auf einigen sehr wichtigen Spezialgebieten der Computer-Technologie auf sieben Jahre.

Auch bei der gewiß recht beachtlichen Leistung in der Raumfahrt konnten sich die Sowjets nicht allein auf die Entwicklungen ihrer eigenen Computer-Industrie verlassen und waren auf technische Hilfe seitens der Amerikaner angewiesen.

Wesentlich ist insbesondere auch, daß Computer wegen ihrer Bedeutung für eine hochtechnisierte Kriegsführung als strategische Güter gelten, für deren Verkäufe in die Ostblock-Staa-

ten eine Export-Genehmigung erforderlich ist. Für die amerikanischen Hersteller wird sie vom US-Handels- ministerium erteilt, die Hersteller- Firmen aus der NATO, aus Japan und Frankreich erhalten diese Export-Lizenz vom Koordinations-Komitee für den West/Ost-Handel (Cocom) in Paris. Aber auch in diesen Fällen hat das Pentagon in Washington noch ein Einspruchsrecht.

Diese gewiß schweren Auflagen für die Computer-Industrie sind den auf Geschäfte bedachten Erzeuger- und Handelsfirmen natürlich lästig, aber sie müssen im Interesse der westlichen Sicherheit hingenommen werden. Hinzu kommt noch, daß Computer nicht billig sind und daß es mit der Anschaffung allein nicht getan ist.

Rechenanlagen müssen programmiert werden, was eine besondere Arbeitstechnik ist, der es zugute kommt, wenn man etwas von höherer Mathematik versteht und die Fähigkeit zur Abstraktion besitzt. Programme reichen über mehrere Fachgebiete und werden zu einem ganzen System zusammengestellt. Diese Programme müssen auf eine kostenraubende Weise entwickelt werden, oder man muß sie zum Computer hinzukaufen. Das kompliziert nicht nur die ganze Angelegenheit, es verteuert sie auch. Was Wunder daher, daß den Osten das Exportverbot Carters ziemlich empfindlich trifft.

Die Entscheidung ist eine politische Entscheidung und hat ein Beispiel gesetzt. Natürlich geschieht das nicht allein aus Menschenliebe zu den Dissidenten und Verurteilten, unter denen sich auch der Katholik Viktor Pjatkus befindet. Dennoch hat die Entscheidung des Präsidenten etwas von einer Humanitäts-Intervention an sich, deren völkerrechtliche Tradition anerkannt ist.

Eine politische Entscheidung ist dies auch deswegen, weil den nach Helsinki und Belgrad zur Zusammenarbeit mit dem Westblock bereiten Weststaaten natürlich auch daran gelegen sein muß, daß ih den Staaten des Marxismus-Leninismus die Bevölkerung das Recht zur Kritik und Kontrolle, zur Informations- und Bekenntnisfreiheit, zur Mitgestaltung auch der auswärtigen Beziehungen und zur Freizügigkeit erlangt.

Erst wenn das nur einigermaßen vergleichbar im Osten zustande- kommt, wird man von Entspannung, Sicherheit und Zusammenarbeit im Sinne der Konferenzen von Helsinki und Belgrad sprechen müssen. Man kann nur hoffen, daß so ein Beispiel Schule machen wird.

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