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Münchner Bremsen?

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Schon in den vergangenen Monaten hat sich der bayrische Ministerrat mehrmals intensiv mit dem Problem der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer auseinandergesetzt. Insbesondere Innenminister Merk forderte nachdrücklich eine bundesweite Neuregelung der Gastarbeiterfrage, da weder das die Volkswirtschaft allzu sehr belastende Prinzip der Integration noch das oft diskriminierend wirkende Prinzip der Rotation praktikable Lösungen anböten.

Nun wurde in München von der bayrischen Regierung ein „Gastarbeiterprogramm“ vorgelegt, das in einer gewissen Synthese der bisher oft einseitig angewandten Prinzipien Richtlinien für die künftige Politik zur Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer enthält. Eine interministerielle Arbeitsgruppe unter der Federführung des Arbeits- und Sozialministers Pirkl war mit der Ausarbeitung beauftragt worden. In dem Entwurf, der als Leitlinie für die Verhandlungen mit Bund, Ländern, Sozialpartnern und Betreuungsorganisationen dienen soll, wird generell festgestellt, daß die Bundesrepublik grundsätzlich kein Einwanderungsland sei und daß der Aufenthalt von Gastarbeitern deshalb zeitlich begrenzt sein müsse.

Diese restriktiven Maßnahmen sind jedoch nach Ansicht der bayrischen Staatsregierung nur durchführbar, wenn sie von einer Reihe integrierender Hilfeleistungen flankiert werden. So soll beispielsweise dem Wunsch ausländischer Arbeitnehmer, „die schon lange hier leben“, nach Verbleib in Deutschland „nach Möglichkeit“ aus humanitären Gründen entsprochen und „im Rahmen der Belastbarkeit der Infrastruktur“ auch der Familiennachzug gestattet werden. Die Praxis der Betreuung

müsse den ausländischen Arbeitskräften jederzeit die Rückkehr in ihre Heimat offenhalten und erleichtern. Für die Dauer ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik sollen ihnen jedoch „vergleichbare Lebensverhältnisse und weitmögliche gesellschaftliche Integration“ gesichert werden. Staatsbürgerliche Mitwirkungsrechte sind dabei allerdings nicht vorgesehen. Als Kriterium dieser sozial orientierten Ausländerbeschäftigung gilt die menschenwürdige Unterbringung. „Wo dies nicht der Fall ist und auch innerhalb einer angemessenen Frist nicht nachgewiesen werden kann, müssen sowohl Ausländerbeschäftigung als auch Familiennachzug im Interesse der Ausländer wie im Interesse unserer Gesellschaft unterbunden werden“. Auch eine sinnvolle Schulbildung der Gastarbeiterkinder müsse sich nach deren tatsächlichen Bedürfnissen richten und deshalb sowohl eine Integration in das deutsche wie auch

eine Reintegration in das heimische Schulwesen ermöglichen.

Grundtenor dieses bayrischen „Gastarbeiterprogramms“ ist jedoch die Forderung einer strafferen staatlichen Reglementierung und Eindämmung des Ausländerzustroms auf den einheimischen Arbeitsmarkt. Bereits jetzt ist jeder zehnte Arbeitnehmer in Bayern und jeder fünfte Arbeitnehmer in München ein Ausländer. Deshalb wird vorgeschlagen, gegen illegalen Aufenthalt und illegale Beschäftigung „strikt vorzugehen“. Durch eine Erhöhung der Anwerbepauschale und andere steuerliche Maßnahmen soll die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer „marktkonform zusätzlich gebremst“ werden. Bei der Bundesregierung will Bayern außerdem darauf hinwirken, daß im Rahmen der europäischen Sozial- und Strukturpolitik Maßnahmen getroffen werden, „die bei einer Ausdehnung der Freizügigkeitsregelung, insbesondere auf die Türkei, sozial und arbeitsmarktlich unerwünschte Wanderungen verhindern“. Ferner sollten Bund und Länder gemeinsam „Zielvorstellungen zur Verwirklichung ergänzender För-

derungsmaßnahmen für ausländische Arbeitnehmer“ entwicklen.

Die Ausländerbeschäftigung ist nach Meinung der Staatsregierung eine Konsequenz aus inländischer Bevölkerungsentwicklung, Arbeitsmarktlage, freier Arbeitsplatzwahl der deutschen Bevölkerung, sozialem Fortschritt und Wachstumszielen. Bei all diesen Punkten — so wird realistisch gefolgert — stehen die Zeichen jedoch so, daß mit einer Verringerung des Fremdarbeitervolumens nicht gerechnet werden kann. „Es ist vielmehr noch ein weiteres Anwachsen der Ausländerbeschäftigung zu erwarten“.

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