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Nach dem Fanal von Zeitz

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Zweimal mußte Bischof Class aus Stuttgart, zugleich Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche, an der DDR-Grenze wieder umkehren. Einmal an der Mauer, die den Sprengel eines seiner Amtsvorgänger als Ratsvorsitzender, Bischof Di-belius, zerschneidet, sodann, als er das eigentliche DDR-Territorium betreten wollte. Sein Ziel war die Synode der evangelischen Kirchen, die sich, nach ihrer Abschnürung von der Bundesrepublik, notgedrungen vor einigen Jahren als „Bund evangelischer Kirchen in der DDR“ etablierten. Diese Tagung fand bei Greifswald im Bereich der pommer-schen Landeskirche statt, die gleichfalls nur noch ein Rumpfdasein führt, nachdem das große Gebiet um Stettin den Polen zufiel. Aus eben diesem Stettiner Gebiet stammten die energischesten und profiliertesten Männer des Kirchenkampfes unter Hitler, nicht zuletzt der frühere Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, von Thadden-Trieg-laff.

Auf mehrfache Vorstellungen von Staatssekretär Gaus im Ostberliner Regierungsgebäude hin, durfte Bischof Class dann doch schließlich einreisen und an der Synode in Pommern teilnehmen. Das staatliche Sekretariat für Kirchenfragen in Ostberlin unter seinem nun schon mehr als zwei Jahrzehnte lang amtierenden Leiter Hans Seigewasser, mußte zurückstecken. Dort fielen und fallen die Entscheidungen, welcher kirchliche Besucher ins Land herein- und welcher draußen zu lassen ist. Zumal Pommern galt unter der langen Kirchenführung von Bischof Krummacher als schwer zugängliches Gebiet, dem man sich besonders sorgfältig widmete — die Kooperationsund Kompromißbereitschaft mit dem Staat fand unter dem hartschädeligen Volk dortzulande wenige Anhänger.

Um so mehr verwundert es, daß die Synode sich an ihrem Ende zu sehr friedlichen und versöhnlichen Tönen bereitfand. Sechs Wochen nach dem Fanal von Zeitz, wo sich einer der ihren eben den Tod beibrachte, den viereinhalb Jahrhunderte vor ihm der Reformator Hus von der Hand seiner Henker erlitt, ist die Bewegung und Verunsicherung unter den Christen der DDR eher noch größer geworden. Die Magdeburger Kirchenleitung, in deren Zuständigkeit auch, Pfarrer Oskar Brüsewitz gehörte, hatte würdig, wenn auch nicht ohne Taktik reagiert. Die Greifswalder Synode hat in ihrem öffentlichen Kommunique überhaupt nichts mehr zum Thema Zeitz zu sagen. Gerade damit aber ist über das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR Entscheidendes gesagt worden.

Ein ungeschriebener Leitsatz lautet seit geraumer Zeit, sich weder gegenseitig brüderlich und euphorisch zu umarmen, noch sich gegenseitig zu verketzen. Der Staat erntet ohnehin die Früchte dreißigjähriger Aushungerung der Kirchen und ebensolanger Seelenführung der nun schon zweiten jungen Generation — die Kirche ist zur bedeutungslosen Minorität abgesunken. Nur eben: das ist keine Katastrophe der Natur oder Übernatur, sondern systematische Ein- und Abschnürung von allen Verantwortlichkeiten. Sterilisierung des Glaubens bis hin zu seiner Bedeutungslosigkeit, die dann Nachlassen der Attraktivität von allein zur Folge hat — nach diesem bewährten Rezept ist verfahren worden. Den Rest, so meint man, kann man getrost in seiner früher oder später gleichfalls „verdampfenden“ Frömmigkeit belassen.

Die Kirchen wissen natürlich am besten, wie ihr Aderlaß zustande kam, schweigen aber meist über die Gründe, aus berechtigter Sorge, auch noch die Reste von Bewegungsfreiheit zu verlieren, die gerade in der DDR — im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Staaten — auf dem Gebiet der Jugendarbeit, der Diakonie und der Mission existieren. Außerdem wird den Kirchen der DDR ideell und vor allem materiell von den Kirchen der Bundesrepublik der Rücken gestärkt; ohne diese Substanzerhaltung könnten beispielsweise schon lange die ohnehin minimalen Gehälter nicht mehr aufgebracht werden.

Das wechselseitige Schweigen verhält sich also wie Ursache und Wirkung: was dem Staat durch Einsatz aller Machtmittel gelang, kann von den Kirchen nur in seinen Folgeerscheinungen — Schrumpfung, Verarmung und Ghettoisierung — verbucht und zum neuen Haben erklärt werden. Vom Soll spricht man hier nicht mehr. Und wenn, dann so, als gleiche der gegenwärtige kirchliche Zustand dem anderer, auch westlicher Länder, wo man die allgemeine Säkularisierung als Erklärung für die Schrumpfung bemüht. In Wirklichkeit ist es doch einfach so, daß der Glaube der Christen den Herrschenden beim Aufbau ihres sozialistischen Bekenntnisses ein ständiger Dorn im Fleische ist. Herausziehen kann man ihn nicht, aber den Strauch, an dem er wächst, kann man verkümmern lassen.

Das Fanal von Zeitz hat diesem komplizenhaften Schweigen ein Ende gemacht, indem es nicht nur die Schuld des Staates an der Vergewaltigung der Seelen ins helle Licht stellte, sondern auch die der Kirchen, die das Schweigen dem Reden voranstellten. Darüber können am allerwenigsten vorsichtige Synodenbeschlüsse etwas ändern. Eine neue Stunde der Bewährung hat für die Christen in der DDR begonnen.

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