6844949-1976_14_11.jpg
Digital In Arbeit

Nachholbedarf in Sachen Olbrich

Werbung
Werbung
Werbung

Die untenstehende Zeichnung eines Theaters hat Architekturgeschichte gemacht. Sie wurde zum Ausgangspunkt der Karriere des Architekten Joseph Maria Olbrich, dem Wien „die Sezession“ verdankt. „Zu den alljährlichen Besuchen“, schrieb Otto Wagner später, „die ich den Schulausstellungen der Akademie abstattete und die ihren Grund in Neugierde und Feststellung des Niveaus der Leistungen hatten, gesellte sich im Jahre 1893 noch der Umstand, daß ich anläßlich der Durchführung des baukünstlerischen Teiles der Stadtbahn Hilfskräfte suchte. Olbrich hatte unter Hasenauer gerade ein Theaterprojekt für die Schulausstellung ausgearbeitet (noch völlig Tradition und echt Hasenauer), aber das Projekt überragte schon damals durch seine zeichnerische Fertigkeit alles andere. Ich erkundigte mich um diesen Schüler und erfuhr, daß er im Hause sei. Im Vestibül traf ich ihn, und er ging auf meinen Engagementantrag sofort mit Freuden ein.“

Ein Blatt Papier, „Feder und Bleistift sowie Aquarell in mehreren Farben, weiß gehöht“, das die Begegnung zweier großer Architekten herbeiführte, eines jungen, der im Kommen war, und eines großen Mannes im Zenit seines Schaffens, der den jungen Mann aber überleben sollte. Ein Blatt Papier in einem Berg von Zeichnungen, Plänen, großen Blättern, zum Teil aber auch winzigen Zettelchen. Die Welt verdankt es dem entschlossenen Zugreifen von Peter Jessen, der als Direktor der damaligen „Bibliothek des Kunstgewerbemuseums“ der Preußischen Museen den aus mehr als 2000 Skizzen, Entwürfen und Plänen bestehenden Olbrich-Nachlaß erwarb, daß dieser

einmalige Schatz nicht in alle Winde zerflatterte. Was hier vorhanden war, erfuhr Berlin und das an Architektur interessierte Europa erstmals 1910/11 anläßlich der großen Olbrich-Gedächtnisausstellung. Die wissenschaftliche Publikation dieses Nachlasses aber ließ lange, zwei Weltkriege, eine Zwischen- und eine Nachkriegszeit lang, auf sich warten.

Daß sie in einer in jeder Beziehung exemplarischen Gestalt nun vorliegt, verdanken wir dem engagierten Verlag Gebrüder Mann in Berlin. Der Band trägt die Jahreszahl 1972 — Anlaß des späten Hinweises auf dieses Werk ist die beschämende Tatsache, daß diesem architekturhistorisch-publizistischen Unternehmen der kaufmännische Er-

folg weitgehend versagt blieb. Eine die Architekturwelt beschämende Tatsache. Denn dieses Werk gehörte in die Bibliothek jedes Architekten, jeder Architekturschule, aber auch jedes, der sich für das Design des Jugendstils interessiert.

Denn Olbrich war ein Josef Hoffmann vergleichbares Multi-Talent. Er hat nicht nur Bauten geplant. Er war, Wagner erkannte es — wie oben erwähnt — als erster, auch ein großer Graphiker, ein Architekt, an dem wohl auch ein bedeutender Maler verlorengegangen ist. Seine aquarellierten Perspektivansichten — übrigens in einer hervorragenden

Qualität zum Teil ganzseitig gedruckt! — beweisen es. Er war aber auoh ein begnadeter Kunsthandwerker und ein früher Industrial Designer, der beispielsweise Registrierkassen entwarf oder 1906 für Opel das „Projekt einer Autokarosserie“ ausarbeitete. Er entwarf Schmuck, keramisches Geschirr, Gebrauchsgegenstände aller Art, Möbelstücke (beispielsweise einige äußerst eigenwillige Klaviere), und daß etwa die „silberne Tischlampe“ nach dem unter der Nummer 11.996 in Berlin inventarisierten Entwurf offenbar unausgeführt blieb, ist heute noch zutiefst zu bedauern.

Vorliegende Edition des Gebrüder-Mann-Verlages wäre geeignet, Joseph Maria Olbrich unserer Zeit neu ins Bewußtsein zu bringen, und sie wäre durchaus auch ein Ausgangspunkt für neue, vollständigere Arbeiten über Olbrichs Rolle bei der Vermittlung von Jugendstil-Formensprache von Wien nach Deutschland. Die Sonderstellung dieses Werkes beruht darauf, daß hier einem hohen wissenschaftlichen Anspruch Genüge getan wurde — es handelt sich um ein komplettes, ausführliches, reich kommentiertes Verzeichnis der 2272 Zeichnungen des Berliner Olbrich-Nachlasses —, und gleichzeitig überdies eine Fülle von Wesentlichem in Abbildungen vermittelt wird, die geeignet sind, das Olbrich-Bild eines breiteren Publikums zu verändern. Die Farbwiedergabe ist von einer auch nach heutigen Maßstäben außerordentlich hohen Qualität

Es gibt Bücher, die sich als Zeitzünder erweisen. Diesem wäre es zu

wünschen. Vor allem muß das jeder wünschen, der meint, daß die Bedeutung Olbrichs als Entwerfer von Möbeln, Gebrauchsgegenständen und Schmuck vor allem in Österreich noch immer allzusehr im Schatten seines Ruhmes als Architekt steht. Sein kunsthandwerklicher Naohlaß stellt ihn gleichrangig neben einige vor allem in Wien sehr viel häufiger genannte Namen. Nicht nur das Architektur-, auch das Wiener Ju-genstil-Publikum müßte sich daher auf dieses Werk stürzen. Es könnte, sollte, müßte aber auch zum Ausgangspunkt von Bestrebungen werden, von Olbrich entworfene und ausgeführte Gegenstände für eine Ausstellung zusammenzubekommen und in Wien, und selbstverständlich nicht nur in Wien, in größerem Umfang als bisher jemals geschehen, zu zeigen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung