6765473-1968_32_14.jpg
Digital In Arbeit

Im Monumentalen intim wirken

19451960198020002020

Es ist anscheinend wirklich das Schicksal großer österreichischer Architekten, mißverstanden zu werden. Otto Wagner, dem Wien so viet zu danken hat, und sein architektonisches Vermächtnis werden, wenn man sich nicht bald zu vernünftigen, wirksameren Denkmalschutzgesetzen entschließt, bald nur noch Legende sein. Das Schaffen Josef Hoffmanns, Oskar Strnads, der wichtigsten Architekten der Ringstraße, Hasenauer, Semper — um dessen einzigen Zweckbau in Wien, das ehemalige k. u. k. Staatstheaterdepot, wird das Bundesdenkmalamt bald kämpfen müs- en —, die Werke Helmers und Fellners und vieler anderer sind nur zu oft Opter gewissen- und geschmackloser Stadtplanung. Täuschen wir uns darüber nicht hinweg: Die Demolierung Wiens zur Provinzstadt ist in vollem Gange. Kirchen und Paläste fallen, damit Straßen verbreitert werden können, kostbare alte Villen, vor allem Architekturen des 19. Jahrhunderts, wie im Cotlageviertel, müssen letztklassigen Zinskasernen Platz machen.

19451960198020002020

Es ist anscheinend wirklich das Schicksal großer österreichischer Architekten, mißverstanden zu werden. Otto Wagner, dem Wien so viet zu danken hat, und sein architektonisches Vermächtnis werden, wenn man sich nicht bald zu vernünftigen, wirksameren Denkmalschutzgesetzen entschließt, bald nur noch Legende sein. Das Schaffen Josef Hoffmanns, Oskar Strnads, der wichtigsten Architekten der Ringstraße, Hasenauer, Semper — um dessen einzigen Zweckbau in Wien, das ehemalige k. u. k. Staatstheaterdepot, wird das Bundesdenkmalamt bald kämpfen müs- en —, die Werke Helmers und Fellners und vieler anderer sind nur zu oft Opter gewissen- und geschmackloser Stadtplanung. Täuschen wir uns darüber nicht hinweg: Die Demolierung Wiens zur Provinzstadt ist in vollem Gange. Kirchen und Paläste fallen, damit Straßen verbreitert werden können, kostbare alte Villen, vor allem Architekturen des 19. Jahrhunderts, wie im Cotlageviertel, müssen letztklassigen Zinskasernen Platz machen.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Joseph Maria Olbrich, dem 1867 in Troppau geborenen österreichischen Architekten, der durch sein Secessionsgebäude schlagartig mitteleuropäischen Ruf errang, geht es nicht anders: Man präsentierte nun hier, in Wien, an Ort und Stelle, sein Schaffen. Reduziert, wie der Katalog der Darmstädter Ausstellung beweist, die nach Wien übernommen wurde, aber immerhin in seinem genialen Bau, der ,(Secession“, deren neue Innenausstattung allerdings den Künstler wahrscheinlich empören würde.

Davon abgesehen, die Ausstellung zu Olbrichs 100. Geburtstag — in Wien um ein Jahr verspätet, dafür hier fast genau zum 60. Todestag zu sehen und überdies zum 100. Geburtstag von Olbrichs großem Mäzen, dem Großherzog Emst Ludwig, der ihn 1899 nach Darmistadt berief — war eine längst fällige Pflicht. Jugendstil in allen seinen Spielarten, die Wiener Secession, die Wiener Werkstätte, sind längst zu einer vom Kunsthandel gut genützten Mode avanciert; geschicktes Management hat die Kunstwerke wie das Kunstgewerbe hochlizitiert, die Kunstgeschichte hat sich endlich der umwälzenden Ereignisse im Lager der Avantgarde von 1900 erinnert.

Olbrich, der immer ein Mann der Stille war und noch dazu rein zahlenmäßig kein allzu umfangreiches Oeuvre hinterlassen hat, in seiner ganzen Bedeutung vorzustellen, ihm den gebührenden Platz in der Gey schichte’"Wer ‘Architektur wie der an-J gewandten Kunst zuzuweisen, wird den kommenden Jahren Vorbehalten sein. Die erste „Ortung“, sozusagen die Bestandsaufnahme seines Schaffens, vollzogen zu haben, war das Werk dieser Aussteller, in Wien des Kulturamtes der Stadt. Wie war der junge Olbrich, der die Wiener Staatsgewerbeschule besucht hatte, dann 1890 bis 1893 an die Wiener Akademie der bildenden Künste, zu Baron Carl von Hasenauer, überwechselte und schließlich im Atelier Otto Wagners als Zeichner landete, wie war er nach Darmstadt gekommen?

Silberleuchter mit Amefhystdekor

1893 hatte er den Rompreis der Wiener Akademie erhalten, reiste durch Italien und Nordafrika, wurde 1894’ ins Wiefler Künstlerhaus aufge-

fommeru reiste dann wieder in rankreich, England und Deutschland. 1897, genauer: am 3. April, wurde die Vereinigung bildender Künstler Österreichs, die „Secession“, gegründet. Olbrich war Gründungsmitglied und trat am 24. Mai aus dem Künstlerhaus aus.

Gleich als sein erstes größeres Werk entstand die „Secession“ (1897—1898), es folgten das interessante Grabmal der Familie von Klarwill, die Villa Friedmann und mehrere Möbelentwürfe. Just als Otto Wagners Versuch, für Olbrich eine Anstellung an der Kunstgewerbeschule in Wien zu erhalten,

fehlschlug, erhielt er von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein seine Berufung als Gründungsmitglied der Künstlerkolonie Darmstadt.

Ludwig von Hessen berichtet über diese Berufung Olbrichs durch seinen Vater: „Damit erhielt die Darmstädter Künstlerkolonie von Anfang an eine führende Begabung, die ausschlaggebend wurde. Mein Vater, Ernst Ludwig, hat selber aufgezeichnet, wie ihn ein künstlerischer Entwurf und das damals neu entstandene Gebäude der Wiener Secession auf die Idee brachte, Olbrich nach Darmstadt zu holen. Ernst Ludwig hatte Olbrich berufen, weil er in seinem Werk österreichische Fröhlichkeit und Leichtigkeit verspürte, die, nach Ansicht des Großherzogs, dem deutschen Kunstwesen damals so sehr abgingen. Außerdem war Ernst Ludwig der Wiener Secessionislinie zugetan, in der er den Neubeginn eines tektonischen Strebens bei aller Dekorationsfreudigkeit witterte.

Er hat mir oft erzählt, daß er mit seinen Künstlern dem bereits überlebten floral-wuchernden Jugendstil entgegentreten wollte. Diese Richtung auf eine neue Tektonik hin deutet sich bei den klassizistischen Werken Olbrichs schon an. Der Wieder Loos brachte dieses Streben zum ersten Durchbruch und schuf so den Boden, auf dem später Gropius sein Bauhaus gründete.“

Bereits 1900 wurde Olbrich Professor. Seine Architekturmappen,, heute begehrte Sammelobjekte, erschienen 1903. Olbrich wird in den eben gegründeten Bund Deutscher Architekten gewählt. Noch einmal versucht Otto Wagner, ihn an Wien zu binden, indem er ihn als Professor für die Wiener Akademie der bildenden Künste vorschlägt. Die Ernennung ging jedoch an Friedrich Ohmann. In den folgenden Jahren wurde Olbrich Mitglied vieler großer Architektenvereinigungen und Architekturinstitute in Italien, Frankreich, den USA; er war Gründungsmitglied des später berühmt gewordenen Deutschen Werkbundes. Er starb,

41jährig, am 8. Auguist 1908 in Düsseldorf.

Wer nach Darmstadt kommt, die Künstlerkolonie besichtigt, wird über die stilistische Geschlossenheit dieser Anlage, die Klarheit der Entwicklung, die bauliche Eleganz erstaunt sein. Meisterwerk steht da neben Meisterwerk. So der berühmte Hochzeitsturm und das Ausstellungsgebäude, monumentale Bauten, die doch unglaubliche Intimität atmen; Intimität, die stets in den formvollendeten Schöpfungen Olbrichs waltet, gleichgültig, ob es sich um einen Buchumschlag, um ein buntes Glasfenster, um ein Teeservioe, um „Dar Frauen Rosenhof“, um klarlinige

Interieurs im Alten und Neuen Schloß in Darmstadt, für Industrielle, in Villen und Gartenhäusern, um Pavillons, Verkaufsbuden, bizarre Blumenhäuser oder ein Zinshaus handelt. Wie edel geformt ist etwa ein Service — Keks-, Tee- und Zuk- kerdose, zwei Leuchter — in Silber mit Amethystbesatz, wie bunt und doch dezent wirkt sein Wandteppich für den Großherzog. Das alles erneuernde Lebensgefühl des Jugendstils, das zum erstenmal wieder alle Gebrauchsgegenstände, Objekte des täglichen Lebens, den Wohnraum usw. zu einer harmonischen Einheit bringen wollte, dokumentiert sich in seinem Schaffen aufs überzeugend ‘te.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung