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Der Meister des oberösterreichischen Barock

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Das große, längst vergriffene Werk über Lukas von Hildebrandt, das Bruno Grimschitz im Jahre 3932 veröffentlichte, war die erste monumentale Monographie über einen der Großmeister des österreichischen Barock und sie ist lange Zeit ohne Nachfolge geblieben. Erst durch die Initiative des Herold- Verlages ist im Jubiläumsjahr 1956 Johann Bernhard Fischer von Erlach zu einer an Umfang und Ausstattung gleich würdigen Monographie gekommen. Eine neue Monographie Hildebrandts, aus der Feder von Bruno Grimschitz, ist nun im Entstehen, und bald wird endlich auch der dritte der drei Großen, Jakob Prandtauer, gleichfalls durch Grimschitz in dieser Reihe des Herold-Verlages seine ebenbürtige Darstellung finden.

So wie Grimschitz Hildebrandt-Buch sozusagen aas Modell rür die Monographien der Großmeister barocken Bauens in Oesterreich aufgestellt hat, so ist sein Buch über den Linzer Baumeister Johann Michael Prunner die erste umfassende Monographie eines der österreichischen Barockbaumeister kleineren Ranges (wenn man von Erwin Hanischs feinem Buch über den Architekten Hohenberg von Hetzendorf absieht, dessen Werk ja aber schon in den Klassizismus hineinreicht). Es ist zu hoffen, daß weitere Monographien dieser Gruppe bald folgen. Eine zusammenfassende Arbeit über Josef Emanuel Fischer von Erlach (von Thomas Zacharias) ist weit vorgeschritten, an einer Monographie über Mathias Steindl arbeitet .Leonore Pühringer, Monographien über die Gumpp, über die Mungenast usw. bleiben zu erwarten. Diesen Nachfolgern hat das Werk Grimschitz über Prunner vor Augen gestellt, was dabei zu erreichen wäre.

Als Hans Tietzė für den im Jahre 1911 erschienenen Band des Künstlerlexikons von Thieme-Becker den Artikel über „Brunner“ schrieb, zählte er namentlich nur vier (oder fünf) Werke auf. In Grimschitz Monographie ist die Zahl der Werke auf 62 angestiegen! Sehr viel haben dazu, wie Grimschitz dankbar anerkennt, die Vorarbeiten von Justus Schmidt beigetragen. Wenn auch nicht wenige dieser Werke Prunner nur stilkritisch zugeschrieben werden können und der „Rand“ der nicht völlig zu sichernden Werke breiter ist als bei Fischer oder Hildebrandt, so werden die meisten dieser Zuschreibungen doch unbestritten bleiben. Damit hat der Zahl nach das Oeuvre Prunners einen Umfang erreicht, der hinter dem der Großmeister nicht viel zurückbleibt.

Der Text ist mit größter Klarheit aufgebaut. Auf knappe vier Seiten mit biographischen Angaben folgt: „Die Reihe der Bauten in chronologischer Reihenfolge (rund 60 Seiten), bei jedem Bau die urkundlich gesicherten Daten zur Baugeschichte und eine knappe beschreibende Analyse. Diese Anordnung hat große Vorzüge: sie trennt das Werk nicht von seiner Entstehungsgeschichte. In den Analysen, welche Sicherheit des Blicks, Genauigkeit der Charakteristik, sprachliche Prägnanz und evokative Kraft verbinden, ist Grimschitz seit jeher Meister gewesen und diese Meisterschaft, in der sich nur wenige Architekturhistoriker mit ihm vergleichen können, bewährt sich auch hier. Der Text schließt mit einer kurzen zusammenfassenden Charakteristik der sakralen und profanen Bauschöpfungen Prunners und ihrer Stellung in der Zeit (rund ein Dutzend Seiten). Hier ist zum erstenmal überhaupt die Eigenart Prunners mit wenigen sicheren. Linien umrissen.

Mit 96 großen Tafeln ist das Werk ausgiebig bebildert. Es war sicherlich ein guter Gedanke, alle photographischen Aufnahmen von einem Photographen machen zu lassen. Schade ist nur, daß dieser in einer Zeit gearbeitet hat, in der die unscharfe Abbildung von. Architekturen zu einer fatalen Mode geworden ist. Was für großartige Bilddokumente waren dagegen doch die Naßplattenaufnahmen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in großem und größtem Format! Für Bücher wissenschaftlicher Art muß die in allen Tiefenplänen scharfe Aufnahme wieder zur absoluten Forderung werden. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß sie deshalb nicht künstlerisch sein könnte. Das Buch hat dessenungeachtet nicht nur den ersten österreichischen Staatspreis erhalten, sondern hat es innerhalb kürzester Zeit schon zu einer 2. Auflage gebracht. Das ist ein Kompliment für den Autor, für den Verlag, aber auch für das österreichische Leserpublikum. Denn im Grunde beweist es viel mehr echten Kunstsinn — welcher bei uns mit der Heimatliebe oft auf die natürlichste Weise verbunden ist —, sich für einen Meister zweiten oder gar dritten Ranges zu begeistern als für die großen Genies, die in aller Munde sind.

Beim Blättern in diesem Buch, das soviel Neues und Unbekanntes enthält, entstehen ganz von selbst einige Fragen. Zum Beispiel die eine: Wodurch unterscheidet sich im Grunde das Werk eines „kleineren" Künstlers von dem der Großen? Etwa dadurch, daß es dem Werk der Großen nachhinkt? Das braucht gar nicht der Fall zu sein. So nimmt Prunner zum Beispiel in einzelnen Werken erstaunlich früh den „zarten“ Stil der dreißiger Jahre vorweg. Unterscheidet es sich nur durch eine „provinzielle“, dialektgefärbte Formensprache oder einfach durch einen anderen persönlichen Stil? Mir scheint, daß bei den „Kleineren“ noch etwas anderes ins Spiel kommt: bei ihnen ist der Spielraum für die Anwendung bestimmter, auch von ihnen anerkannter konventioneller Regeln in Syntax und Wortwahl größer, bei ihnen sind „Freiheiten“, „Lizenzen", möglich, die ein Großer sich versagen würde. Zusammen mit gelegentlichen echten Unbeholfenheiten gibt das den Werken im günstigsten Fall jenes „Reizvolle“, das ein nicht ganz regelmäßiges Gesicht von einem „klassisch-schönen" unterscheidet. Im ungünstigen Fall kann es aber dabei zu Bildungen kommen, die manchmal sogar an Werke neobarocker Nachahmer erinnern. Nur drei Beispiele für andere: das fast „sezessionistisch“-barocke Rondell am Schloß Lam- berg in Steyr (Abb. 72), das Portal des Bibliothekstraktes im Stift von St. Emmeram in Regensburg (78), aber auch die Fassade des Löschenkohlschen Stadthauses in Regensburg (84, 85).

Eine andere Frage: Wie weit offenbart sich in diesen Werken des Linzer Baumeisters, die fast alle in Oberösterreich stehen, eine spezifisch oberösterreichische Eigenart? Gerade wenn, wie Erich Hubala bemerkt hat, Prunner Motive der böhmischen Architektur aufgreift, ist es unverkennbar, daß er aus ihnen etwas ganz anderes macht, sie in eine andere Tonart transponiert und anders durchführt. Der Vergleich der Kirche von Stadl-Paura mit der von Jung- fernbfežan oder der Kapelle auf dem Puchberg bei Lambach mit der äußerlich ähnlichen Kapelle von Mlatz zeigt das überaus klar. Alles wird spannungsloser. Ich weiß, daß manche schon die Frage nach einem oberösterreichischen „Kunstwollen“ lächerlich finden. Aber die Arbeiten Otto Pächts und später die Karl Oettingers haben konstante Charaktere einzelner österreichischer Kunstlandschaften so unverkennbar gezeigt, daß sich heute das Salzburgische, das Steirische, das Tirolische recht klar erkennen läßt. Sollte für Oberösterreich das gleiche nicht gelten? Das bisher wohl umfangreichste Lebenswerk eines oberösterreichischen Künstlers, das uns hier überraschend vor Augen gestellt worden ist, wirft diese Frage unwillkürlich auf.

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